Verflüchtigung ins endgültig Nebulöse

■ Wie funktioniert eigentlich die Sprache des Geldes? Schriftsteller Rolf Schneider forschte in der Welt der Wirtschaft und unternahm eine ethnographische Reise durch VW-Konzern, LPGs bis nach Hongkong

Als regelmäßiger Zuschauer der Fernseh-Morgenmagazine ist man geneigt, die aktuellen Wirtschaftsdaten als eine Art globalen Bio-Rhythmus zu lesen. Dax und Dow-Jones pendeln harmonisch auf Vortagsniveau, der Dollarkurs ist leicht gefallen, aber der Wert für die Feinunze Gold verrät keine unvorhersehbaren Erschütterungen. Ist das Vertrauen ins Weltgebälk auf solche Weise gestärkt, kann das Tagwerk beginnen. Frohgelaunt delektieren wir uns noch an einer subversiven Ironie am Rande: Im Börsenspiel liegt Zocker-Schauspieler Rolf Zacher weiter vor den Profis von Sparkasse und Investment-Club. Den Börsenexperten fehlen die Worte. Steigende Kurse sprechen ihre eigene Sprache.

Aber welche? Am Sieg des kapitalistischen Systems zweifelt auch der einst in die Überlegenheit von Histomat und Diamat unterwiesene ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider nicht mehr. Doch wie funktionieren dessen Spielzüge? Welche Sprache spricht die Herrschaft des Geldes? Eine Aktionärsversammlung des VW- Konzerns, zu der Schneider mit zwei Anteilsscheinen eine Zugangsberechtigung erworben hat, kann keine Antwort geben. Trotz offenkundiger Getriebeprobleme innerhalb des Autohauses bekräftigen die Redner, daß es nun wieder aufwärts gehe, und bei den obligatorischen Abstimmungen fällt niemand durch: Ergebnisse wie bei den Wahlen zur DDR-Volkskammer. Ratlos verläßt Kleinaktionär Schneider das Haus.

Im Verlauf seiner Recherchen sucht Rolf Schneider die geheimnisvollen Orte des Wirtschaftslebens auf, ohne auf ein grammatikalisches Gerüst zu stoßen. Die Sprache des Geldes betreibt Camouflage. Schon Sigmund Freud hatte den Verdacht, daß es eine heimliche Identität zwischen Geld und den menschlichen Exkrementen gebe – weshalb man über Geld auch ungern spricht. Hilmar Kopper, Chef der Deutschen Bank AG, dem wir immerhin die „peanuts“-Metapher verdanken, tue dies obendrein stilistisch eher dürftig, stellt Schneider anläßlich einer Veranstaltung eines Marketing Clubs fest, der regelmäßig Diskussionen mit „Menschen, die etwas zu sagen haben“ veranstaltet. Zu denen rechnet sich wohl auch Gerd Gerken. Autor Gerken trainiert Manager, erforscht Wirtschaftstrends und gibt Branchendienste wie Radar, Zukunfts-Letter und Brain heraus. Schneider folgt hier der Sprache des Geldes bei ihrer Verflüchtigung ins Nebulöse und identifiziert Gerkens Sprache als eine schwer erträgliche Mischung aus Petrochemie, Informatik und der Heiligen Hildegard von Bingen. „Was soll man halten von Sätzen wie diesen: ,Man wird erkennen, daß das Marketing neuartige Informationsmethoden benötigt, um von der strategischen Planung auf die prozessuale Planung umschalten zu können. Voraussetzung ist eine kontinuierliche Umfelddiagnose und ein methodisches Trend-Monitoring.‘ Es bedeutet, in mein Deutsch übersetzt: Die Marktforschung muß besser werden.“

Rolf Schneider betreibt eine Art Ethnographie des Wirtschaftslebens, besichtigt die Orte des Geldverkehrs mit fremdem Blick. Die Einführung des Kapitalismus in den deutschen Osten ist eine große Gelderzählung, die keineswegs nach den Lehrsätzen der Ökonomie verläuft. In lakonischem Ton erzählt Schneider Geschichten vom Scheitern der großen Privatisierung, dem letzten kommandowirtschaftlichen Vorgang auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Mit Fleiß und Geschick überstand beispielsweise die LPG Wiesengrund im Brandenburgischen Damelang die meist unsinnige Agrarpolitik des Arbeiter- und Bauernstaates. Erst der Beratungswut westdeutscher Landwirtschaftsverbände war die LPG nach der Wende dann schließlich doch erlegen.

Aber es gibt auch andere Beispiele: so ging das Möbelhaus Möbel-Max in den Besitz ehemaliger Betriebsangehöriger über und hält sich seither mit den schon zu DDR-Zeiten produzierten Möbeln gegen die übermächtige Westkonkurrenz über Wasser. Daß „DDR-made“ erst nach dem Untergang des Sozialismus zum Gütezeichen werden konnte, paßt nicht in die Vorstellungswelt von Marketingstrategen.

Schneiders Reiseerzählung durch die Welt der Wirtschaft mündet schließlich in einen Fernosttrip, gewissermaßen als ethnologische Supervision. Weil Schriftsteller Schneider die Auf- und Abschwünge Ost nicht vom neutralen Punkt aus betrachten kann, zog es ihn nach China und Hongkong. Hier lassen sich seit einiger Zeit gravierende Transformationsprozesse beobachten. Vom 1. Juli 1997 an wird nämlich die einstige Kronkolonie Hongkong wieder der Volksrepublik China zugehören – ein Systemwechsel, von dem jetzt noch niemand sagen kann, ob und wie er gelingen wird. Daß der Sprache des Geldes dabei die wichtigste Vermittlungstätigkeit zukommt, gilt als Binsenwahrheit. Wie sie aber funktioniert, blieb dem Schriftsteller auch nach seinen Erkundungen ein Geheimnis. Dow- Jones und Nikkei-Index geben jedenfalls keine Auskunft. Harry Nutt

Rolf Schneider: „Die Sprache des Geldes“. Steidl-Verlag, Göttingen 1995. 170 Seiten, 20 DM