Schneller Brüter wird große Pommesbude

Nuklearland wird Wunderland. Der Niederländer Henny van der Most will aus der Brüterruine im niederrheinischen Kalkar einen Erlebnispark machen. Die Einheimischen schwanken zwischen Begeisterung und Skepsis  ■ Aus Kalkar Wolfgang Hellmich

Wie wird aus einem Atomreaktor eine riesengroße Pommesbude? Man warte auf einen Geschäftsmann, der eigentlich eine alte Dampfmaschine kaufen will, erwähne spaßeshalber, daß gleich nebenan ein Milliardengrab preisgünstig zu erstehen ist, und lasse den Dingen ihren Lauf. So ist es am Niederrhein geschehen, in Kalkar, jener Stadt, in der Polizisten Ende der siebziger Jahre Anti-Atomkraft-Demonstranten mit Wasserwerfern beschossen, in der der „schnelle Brüter“ vor sich hin rostet, eine Atomruine, die niemand haben wollte – bis jetzt. Der Käufer kommt aus den Niederlanden und heißt Henny van der Most. Aus dem Brüter will er einen kollektiven Freizeitpark machen.

Es war im Sommer, als van der Most das örtliche Technikmuseum besuchte. Weil dessen Betreiber, der Antiquitätenhändler und Van- der-Most-Freund Johannes Wilmsen, des Niederländers Vorliebe für bizarre Projekte und Ideen kannte, machte er ihn auf den Brüter aufmerksam. Nach langem Hin und Her hat der Niederländer vergangene Woche den Kaufvertrag unterzeichnet.

Monate vorher hatte die Schnelle-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft (SBK), ein Unternehmen des Essener Energieriesen RWE, europaweit eine Anzeige geschaltet. Darin heißt es: „Angebot. Industriestandort am linken Niederrhein. In ca. 5 Kilometer Entfernung der niederrheinischen Kleinstadt Kalkar (ca. 11.000 Einwohner) steht der gesamte Kraftwerksstandort des nicht in Betrieb genommenen schnellen Brüters zum Verkauf.“ 70 Interessenten sollen sich gemeldet haben, darunter auch „Spaßvögel“ ohne Geld.

Van der Most gehörte nicht dazu. Der 44jährige gilt zwar als friesisches Schlitzohr, aber finanziell potent. Die Kaufsumme mag niemand offiziell nennen. Unterderhand ist zu erfahren, daß er drei Millionen Mark für den Brüter hingeblättert hat. Seine Pläne hat er inzwischen en detail offengelegt. Den Brüter, abgeschirmt durch einen Wassergraben und mächtige Mauern aus Stahl und Beton, will er zu einem Ferienziel für Familien umbauen lassen. Der Kühlturm soll zu Europas größter Wasserorgel werden, in den Büros der Atomingenieure können künftig Tagungs- und Hotelgäste übernachten. Überdies plant der Unternehmer, Wasserfälle und Wildwasserstrecken anzulegen. Vor allem auf Besucher aus dem nahe gelegenen Ruhrgebiet spekuliert der Niederländer. Mit ihnen will er Karussell fahren, und wer das kommunale Kino satt hat, soll die neusten US-Kino-Renner konsumieren dürfen. 40 Millionen will er investieren. Das Projekt trägt den Namen „Kern-Wasser-Wunderland-Freizeitpark“.

Einst sollte mitten auf der grünen Wiese, direkt am Rhein gelegen, etwa dreißig Kilometer vor der niederländischen Grenze entfernt, ein Menschheitstraum in Erfüllung gehen: jener einer unbegrenzten Energieversorgung, eines Atomreaktors, der mehr Strom erzeugt, als er verbraucht. 7,5 Milliarden Mark haben die Steuerzahler investiert, es war ein Prestigeobjekt, mit dem die Leistungsfähigkeit deutscher Forschung und Industrie demonstriert werden sollte.

Statt Menschheitstraum jetzt also viele kleine Träume: Drei „Wunderland“-Parks besitzt van der Most in den Niederlanden bereits. Rund 400 Beschäftigte zählt sein Konzern. Auffallend ist, daß alle seine Projekte aus Ruinen entstanden sind. Seine Karriere als Freizeitunternehmer hat van der Most mit einem Eisenhandel begonnen. Zu Geld gekommen, erwarb er in Nordholland ein Gehöft, in dem er ein Schwimmbad baute. Viele Freunde gaben sich mit ihm der Planscherei hin. Auf das Schwimmbad folgte der erste Erlebnispark, errichtet auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik. Schließlich fiel ihm ein altes Krankenhaus bei Almelo in die Hände, und aus einer ehemaligen Kartoffelfabrik in Beilen machte er kurzerhand einen Rummelplatz für Kinder mit allem Drum und Dran.

Jetzt will der rührige Unternehmer als „König von Kalkar“ in die Stadtgeschichte der traditionsreichen niederrheinischen Kommune eingehen. Vor allem die regierenden Christdemokraten sind ihm als „Retter in der Not“ hinterhergelaufen. Das Lebensmotto des Holländers hat es ihnen angetan. „Nicht viel reden, sondern tun.“

Das Wichtigste: Van der Most hat Arbeitsplätze versprochen. Immerhin 300 sollen es sein. Die Sozialdemokraten im Städtchen hingegen halten sich nach wie vor bedeckt und lecken die Wunden der fast atomaren Vergangenheit. Die FDP, noch im Rat vertreten, glaubt, man hätte aus einem „zukunftsorientierten Kernkraftwerk etwas Besseres machen können“, nämlich einen Gewerbepark für mittelständische Unternehmen, wie der frühere Wirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann, gebürtiger Kalkarer, vorgeschlagen hat. Und die Grünen? Sie glauben, daß ein Freizeitpark nicht paßt zum Flair Kalkars als historische Kulturstadt mit ansehnlichen Kunstschätzen aus Mittelalter und Renaissance. Fraktionssprecher Willibald Kunisch: „Unsere Stadt wird verschandelt durch einen Kirmesplatz und große Pommesbuden à la van der Most.“

Die Bürgerschaft ist entsprechend gespalten. Während die einen befürchten, auf den Brüter folge die nächste Investitionsruine, applaudieren die anderen brav, wenn der Niederländer ihnen eine „neue Zukunft“ verspricht. Sie verdrängen, daß jener Park mehr Verkehr bedeuten wird, daß neue Straßen gebaut werden müssen, daß Kalkar zur Transitstrecke für freizeithungrige Menschenmassen verkümmern könnte. Es scheint der Ruf van der Mosts zu sein, der ihre Bedenken beiseite gewischt hat, daß er nämlich „selbst aus Scheiße noch Geld machen kann“, so Bernd Lemmen, Chef der Kalkarer Freizeitstätte „Wisseler Hof“ mit Campingmöglichkeit.

Mit der Unterschrift sind die Weichen gestellt. Jetzt muß der Gebietsentwicklungsplan geändert werden, anschließend der Flächennutzungsplan. Die Stadt muß einen neuen Bebauungsplan aufstellen, ein planungsrechtliches Verfahren, das rund ein Jahr dauern wird. Erst im Frühjahr 1997 ist mit dem ersten Spatenstich zu rechnen. Umbauzeit: einige Jahre.

Unterdessen träumt man vor Ort, daß van der Most zur Eröffnung des Freizeitparks ein riesiges Feuerwerk entzünden will: „Rhein in Flammen“. Des einen Traum bleibt der anderen Alptraum. Kalkars Freiwillige Feuerwehr verfügt über sechs Löschfahrzeuge.

Der Autor ist Redakteur bei der „Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung“ (NRZ), Essen