Die Macht als Kriegsbeute

■ Algerien wählt heute seinen Präsidenten

Wenn heute Algerien seinen Präsidenten wählt, steht der Sieger schon fest: General Liamine Zéroual wird sein eigener Nachfolger. Die Wahlen finden unter Kriegsbedingungen statt; die drei größten Parteien, die bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1991 über 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten, boykottieren die Veranstaltung; die einzige frankophone Zeitung, die für einen Dialog mit der islamischen Opposition eintritt, durfte just aus diesem Grund innerhalb der letzten vier Wochen dreimal nicht erscheinen. Die Legitimität des jetzigen und künftigen Präsidenten wird also mit guten Gründen in Zweifel gezogen werden. Und doch wird Zéroual als halbwegs gewählter Präsident eben mehr Legitimität haben als bisher, zumal wenn sich eine hohe Wahlbeteiligung herausstellen sollte.

An den Grundzügen des algerischen Dilemmas ändert dies nichts. Ein Frieden ist ohne den Kompromiß mit der islamischen Opposition nicht zu haben. Zehntausende Tote ohne absehbaren militärischen Sieg sind der Beweis. Die militärische Kamarilla, die die Macht seit drei Jahrzehnten usurpiert, hat jenseits der gescheiterten Strategie einer bewaffneten Befriedung letztlich nur zwei Optionen: den Kompromiß als Kuhhandel und den Kompromiß als demokratisches Zugeständnis.

Die erste Option, eine Machtbeteiligung der Islamischen Heilsfront (FIS) im Kooptationsverfahren, ist nicht ausgeschlossen, doch unwahrscheinlich. Sie wäre fatal, würde sie doch letztlich ein labiles diktatorisches Regime nur stabilisieren. Die zweite Option birgt weiterhin das Risiko, daß die Islamisten auf demokratischem Weg eine Diktatur errichten. Doch ist diese Gefahr heute deutlich geringer als vor vier Jahren, als die Militärs die FIS um ihren Wahlsieg geprellt haben. Nach über drei Jahren Krieg ist das Ansehen der FIS weithin beschädigt. Auch deshalb hat sie im Januar mit sechs weiteren Parteien in der Plattform von Rom der Gewalt abgeschworen und sich verpflichtet, einen demokratischen Machtwechsel zu respektieren.

Diese Plattform, die bislang vom Regime abgelehnt wird, bietet eine reale Grundlage für eine Aussöhnung und freie Wahlen. Für die Militärs, und General Zéroual wird auch nach dem Urnengang von heute zu ihnen gehören, bedeutet jede wirkliche Demokratisierung allerdings immer auch eine Gefährdung ihrer Pfründe. Hier liegt das Haupthindernis für den Frieden in einem Land, in dem die politische Macht schon immer als Kriegsbeute verstanden wurde. Thomas Schmid