Protestanten gegen den Papst

■ Ideenkollekte für Gegenveranstaltungen zum Papstbesuch im Juni: Demonstrationen, eine Zeitung und Kondome bei Veranstaltungen / Diskussion um Sexualmoral und die Rolle der Kirche unter den Nazis

ER wird kommen – auch wenn ihn manche hier nicht haben wollen: Am 23. Juni 1996 wird der Stellvertreter Gottes auf Erden, Papst Johannes Paul II., in Berlin eintreffen. Damit dieser Besuch kein ganz so himmlisches Vergnügen wird, trafen sich am Mittwoch abend Papst-Protestler im Haus der Demokratie zum „Papst 96 Laientreffen zur Vorbereitung des Papstbesuches“. Sie wollten Ideen sammeln, wie sie dem Unfehlbaren seine Fehler vorhalten und ihren Unmut äußern könnten. Denn in der Apostolischen Nuntiatur, der Botschaft des Vatikans in Bonn, liefen die Vorbereitungen schon auf Hochtouren, wußte Albert Eckert, Organisator des Treffens von der Humanistischen Union. Deshalb wolle auch er jetzt mit der weltlichen Planung der Gegenveranstaltungen beginnen.

In der ersten Ideenkollekte wurde unter anderem ein Diskussionsforum zur Rolle der Kirche im Dritten Reich vorgeschlagen. Schließlich ist ein Grund der päpstlichen Visite die Seligsprechung des ehemaligen Dompropstes Bernhard Lichtenberg. Lichtenberg war einer der wenigen katholischen Geistlichen, die die Kanzel zur Kritik an den Nationalsozialisten nutzten, und wurde deswegen von ihnen umgebracht. „Der katholischen Kirche darf nicht die Chance gegeben werden, sich mit diesem Mann zu schmücken, ohne daß ihre Rolle im Dritten Reich diskutiert wird“, sagte Eckert.

Neben der Seligsprechung Lichtenbergs will der Oberhirte in der Berliner Diaspora die Einrichtung einer Katholisch-Theologischen Fakultät an der Humboldt-Universität unterstützen. Dem wollen seine Kritiker eine Demo und eine Zeitung entgegensetzen, außerdem ist das Verteilen von Kondomen und Faltblättern zur Sexualmoral bei offiziellen Veranstaltungen geplant. Arbeitsgruppen zu den Themen „Christianisierung der ehemaligen DDR und Staatsverträge“, „Lesben- und Schwule“ sowie „Entwicklungshilfe und Kirche“ sollen Projekte vorbereiten. Auch habe der suspendierte Theologieprofessor und Kirchenkritiker Eugen Drewermann schon Interesse an einer Veranstaltung angemeldet, wußte ein Atheist.

In einer gruppendynamischen Sitzrunde stellten die Papst-Protestler sich vor: Katholiken, Protestanten, „Halbchristen“ und Atheisten, Rentner, Religionswissenschaftler sowie Vertreter der ökologischen Linken, der alternativen Linken, der Bündnisgrünen und der Aids-Lebenshilfe saßen gegen den obersten Hirten versammelt. Abgesandte der katholischen Gruppen „Kirche von unten“ und „Kritische Katholiken“ fehlten, sie waren zu spät benachrichtigt worden. Ob so unterschiedliche Leute eine gemeinsame Planung hinkriegen würden, das wisse er auch nicht, sagte Eckert. Aber vielleicht erledige sich das Problem ja auch von selbst, schließlich sei der Heilige Vater ziemlich krank.

Dann hätte sich auch die Sorge eines Religionswissenschaftlers in Wohlgefallen aufgelöst. Der fürchtete, daß die Ketzer, genauso wie die katholischen Geistlichen, vor leeren Bänken predigen würden. „Wir sind in Berlin, wo viele Lebensformen möglich sind, und das Hinterland ist protestantisch. Da ist das Interesse geringer als im katholischen Münsterland.“ Doch diese Bedenken wurden selbstbewußt ausgeräumt: „Wenn weniger Leute als wir für die Love Parade Tausende auf die Straße kriegen, dann kriegen wir das gegen den Papst doch allemal.“ Nina Kaden

Das nächste Treffen findet am 6. Dezember 1995 um 19 Uhr im Haus der Demokratie, Friedrichstraße 165, statt.