Harmonie und Halleluja

Nach dem 3:1 gegen Bulgarien und dem Gruppensieg in der EM-Qualifikation wähnen sich Deutschlands Fußballer auf einem „guten Weg“  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Das Aufatmen war kollektiv: Mit 3:1 hatte die deutsche Fußball- Nationalmannschaft endlich mal wieder gegen die renitenten Bulgaren gewonnen. Die Last von fünf in New York (1:2) und Sofia (2:3) kassierten Toren fiel mit einem gewaltigen Plumps von den geplagten Seelen der deutschen Kicker ab, ausgelassen hüpften sie durchs Olympiastadion, verbeugten sich vor dem hocherfreuten Publikum, und Mario Basler, wer sonst, faßte in Worte, was alle dachten: „Die Frage, wer die bessere Mannschaft ist, hat sich hiermit erledigt.“

Da war er schon wieder, jener Geist, der vordringlich die 1:2- WM-Pleite von 1994 verursacht hatte: Wir sind die Besten. Wer kann uns schon was anhaben? Und wenn tatsächlich mal jemand gegen uns gewinnt, dann kann das nur an purem Glück oder bodenloser Gemeinheit liegen. Wie sagte doch Berti Vogts: „Wir waren schon in Sofia die bessere Mannschaft.“ Und in New York – wie er sicher gern hinzugesetzt hätte, sich aber dann doch nicht traute. Wohl vor allem aus pädagogischen Gründen, denn das WM-Debakel dient ihm seither als Menetekel und als Ausgangspunkt für den vielbeschworenen „guten Weg“, der das deutsche Team aus dem schwarzen WM-Loch nun zur WM nach England führte.

„Wir sind auf einem guten Weg“, jubelten in Berlin unisono auch die Nationalspieler und lobten vor allem die angenehme Atmosphäre in der Mannschaft. „Wir sind füreinander da“, sagt Kapitän Klinsmann, und selbst der skeptische Sammer gibt zu: „Die Mannschaft hält tatsächlich zusammen.“ Seit einigen Spielen herrscht Harmonie, was zum einen an sieben Siegen in Folge liegt, sich zum anderen aber auch an den Namen jener festmachen läßt, die seit der WM 1994 auf der Strecke geblieben sind: Illgner, Effenberg, Berthold, Matthäus. Bertis Mannen sind heute entweder liebe, kreuzbrave Burschen oder ehrgeizige Grantler wie Klinsmann und Sammer, die den Erfolg der Mannschaft aber über eigene Eitelkeiten stellen. Selbst Mario Basler soll zum sanften Lamm werden, sobald er das Nationaltrikot von weitem sieht.

Kühn hebt der deutsche Fußball wieder das Haupt, und Vogts trompetet es voller Stolz in die Welt: „Wir waren das beste Team in der Gruppe.“ Die Bulgaren ficht das nicht an, sie legen sich vornehmlich ins Zeug, wenn es darauf ankommt. Und das war in Berlin nicht der Fall. Beim Anpfiff waren beide Teams für England qualifiziert, was vor allem den Eifer der Bulgaren hemmte, die ja keinerlei Trauma mit sich herumschleppten. Gewinnen sie gegen Deutschland, ist das prima, verlieren sie, finden sie das relativ normal. Jordan Letschkow, der meist so nutzlos spielte, als sei er beim HSV, ließ wissen, er sei kein bißchen enttäuscht: „Wir haben vorher gewußt, daß wir tausendprozentig qualifiziert sind. Das war für uns das wichtigste.“

Die Bulgaren spielten in der ersten Halbzeit defensiv, deutlich bemüht, das 0:0 zu halten und vielleicht durch einen ihrer Konter, meist über Kostadinow, in Führung zu gehen. Auch das deutsche Team riskierte nichts. „Es wäre tödlich gewesen, wenn man von Anfang an Halleluja gespielt hätte“, erklärte Libero Sammer, „wir wollten das Spiel kontrollieren.“ Die 75.841 im Olympiastdion waren darüber wenig erfreut, ertrugen das schmucklose Match aber mit Fassung.

Erst der Führungstreffer der Bulgaren, den Stoitschkow in der 47. Minute nach dem einzigen gelungenen Angriff der Gäste erzielte, brachte Leben in die Bude und die deutschen Beine. Auch nach dem 1:0 war nichts von dem bulgarischen Selbstbewußtsein der letzten Aufeinandertreffen zu spüren, und in der neuformierten Abwehr versagten nun vor allem dem Libero und Länderspieldebütanten Dartilow die Nerven. Mit einem Doppelfehler, als er die Abseitsfalle verpatzte und dann tölpelhaft Klinsmann anschoß, ermöglichte er diesem den Ausgleich, kurze Zeit später säbelte er am Strafraum Kuntz um. Häßler schoß den Freistoß schlecht, doch auf wundersame Weise teilte sich die bulgarische Mauer plötzlich wie das Rote Meer vor Moses, und der Ball flog vorbei am verdutzten Keeper Popow, der getreulich seine Ecke bewachte, ins Tor.

Vollends stellten die Bulgaren jegliche Bemühung um Ergebniskorrektur ein, als Klinsmann per Foulelfmeter zum 3:1 traf, nachdem Popow ein spektakuläres Kuntz-Solo per Fußangel beendet hatte. Dem deutschen Team gelangen jetzt äußerst ansehnliche Spielzüge, was Vogts anschließend zu der Aussage bewegte, man habe „Fußball zelebriert“ und nicht, wie es „die Art der Deutschen“ sei, nur gekämpft. Halleluja!

Ansonsten blieb der Bundestrainer auch in der Stunde des persönlichen Triumphes bescheiden, obwohl man ihm die Erleichterung darüber, daß die vermeintliche Überlegenheit diesmal eine tatsächliche war und sich obendrein im Ergebnis ausdrückte, deutlich ansah. Seine Mannschaft mag zwar auf einem guten Weg sein, aber keiner weiß besser als Berti Vogts, daß nirgends sonst der Weg so wenig das Ziel ist wie im Fußball. „Was wir brauchen, ist der Erfolg“, sagt der Bundestrainer kategorisch. Und präzisiert: „Einen Titel.“ Den nächsten gibt es bei der EM zu holen, aber wenn es dumm läuft, könnte dort erneut Bulgarien der Gegner sein. Und dann geht es wieder um etwas.

Bulgarien: Popow - Dartilow - Kremenliew, Jankow, Zwetanow - Guintschew, Letschkow (62. Kirjakow), Balakow (82. Borimirow) - Stoitschkow, Kostadinow, Penew (79. Sirakow)

Zuschauer: 75.841; Tore: 0:1 Stoitschkow (47.), 1:1 Klinsmann (50.), 2:1 Häßler (56.), 3:1 Klinsmann (76./Foulelfmeter)

Deutschland: Köpke - Sammer - Kohler (46. Strunz), Babbel, Freund, Basler, Eilts, Häßler (88. Reuter), Helmer - Klinsmann, Kuntz (82. Bobic)