Hundstage in L.A.

Rap-Star Snoop Doggy Dogg wird wegen Mordes der Prozeß gemacht. Mit ihm auf der Anklagebank: Gangsta Rap. Eine breite Allianz kämpft gegen Gewalt als solche, böse Wörter, „Pornographie“ und „Gotteslästerung“  ■ Von Ian Katz

Die Hochglanz-Tragikomödie der Rechtsprechung nach Los-Angeles-Art hat schon etwas bezwingend Fortsetzungsartiges. Die Charaktere kommen und gehen, aber immer bleiben genug vertraute Gesichter, die sicherstellen, daß wir den Faden nicht verlieren. Mit dem Prozeß gegen O.J. Simpson war man vielleicht nicht sofort auf du und du, kam erst nicht so recht mit, aber wenigstens hatten wir Verteidiger Robert Shapiro noch von der unangenehmen Sache mit Marlon Brandos Sohn her in Erinnerung. Und Johnnie Cochran, O.J.s Hauptstütze? War er nicht in der Folge dabei, als Michael Jackson einen Jungen belästigt haben sollte?

Nach einer kurzen Unterbrechung wird Cochran nun schon wieder im neunten Stock des Los Angeles Criminal Court auftreten. Gaststar des Monats ist Gangsta Rapper Snoop Doggy Dogg, der sich wegen Mordes an einem 20jährigen Gang-Mitglied verantworten muß. Cochran vertritt zwar nicht direkt Snoop Dogg (ein Koverteidiger agiert in dieser Sache), was sich aber sehr schnell ändern könnte. Man kann sich einfach schwer vorstellen, daß ein Mann wie er sich die Verteidigung des mutmaßlichen Mörders von Philip Woldemariam nehmen lassen wird.

Richter Lance hätte man nur allzu gern in seiner gewohnten Rolle gesehen, er mußte aber ersetzt werden, nachdem ein anderer Part ihm überraschenderweise mehr zugesagt hatte. Und seit sein Ersatz, Richter Paul Flynn, alle Fernsehkameras aus dem Gerichtssaal verbannt hat, gibt es bedauerlicherweise keine Aussichten, daß die neue Serie ähnlich straßenfegerische Einschaltquoten erreichen wird wie sein Vorgänger. Ohnehin: Das Verbrechen, das Snoop Doggy Dogg (in der Anklageschrift erscheint sein bürgerlicher Name Calvin Broadus) zur Last gelegt wird, entbehrt vieler der Zutaten, die den Doppelmord von Brentwood in eine nationale Obsession hineinsteigerten. Keine verzehrenden Leidenschaften. Nichts Diffiziles zwischen verschiedenen Hautfarben. Kaum etwas in Richtung Splatter.

„Die Situation klarmachen ...“

Statt dessen stammt der Mord an Woldemariam – es geschah am sonnigen Nachmittag des 25. August 1993 im südlichen Los Angeles – direkt aus der ziellosen, gewalttätigen Welt, über die Snoop Dogg rappt.

Der Musiker steht gemeinsam mit einem Freund namens Sean Abrams und seinem Bodyguard McKinley Lee vor Gericht. Die Anklage vertritt die Auffassung, Abrams sei vor Snoop Doggs Apartment im Stadtteil Palms in ein Wortgefecht mit dem aus Äthiopien stammenden Woldemariam geraten. Später soll das Trio im schwarzen Jeep, Modell „Cherokee“, des Rappers in den nahegelegenen Woodbin Park gefahren sein, wo Lee Woldemariam erschoß.

Die Anklage behauptet weiterhin, das Trio habe Ärger gesucht mit dem renitenten, zuckerkranken jungen Mann. Lee besteht darauf, in Notwehr gehandelt zu haben, was nicht so ganz mit der Tatsache übereinstimmt, daß Woldemariam von einem Schuß in den Rücken getötet wurde.

Sowohl Snoop Dogg als auch Woldemariam hatten Kontakte zu Gangs aus der Gegend – der Rapper zu den furchterregenden „Insane Crips“ von Long Beach, das Opfer zu einer kleineren Gruppierung, den sogenannten „By Yerself Hustlers“ – aber, so die Anklage, der genaue Grund der Auseinandersetzung sei nicht bekannt. „Es hatte nicht wirklich mit Gang-Angelegenheiten zu tun, und eswar auch keine Konfrontation von Gang zu Gang im strengen Sinne“, hatte Distriktanwalt Ed Nison schon vor Monaten geäußert, „aber der Vorfall ist typisch für Situationen, wie sie Gang-Mentalität erzeugt. Das Denken folgt dem Schema: Sagst du etwas zu mir oder meinen Freunden, muß ich um jeden Preisdie Situation in die Hand nehmen und klarmachen.“

Wenn er wegen Beihilfe oder Anstiftung zum Mord überführt wird, droht Snoop Dogg eine Gefängnisstrafe von 26 Jahren bis lebenslänglich. Alle drei haben auf unschuldig plädiert.

Bei dem Fall muß die öffentliche Meinung allerdings – das zeigt schon das gesamte außergerichtliche Vorspiel – mit Sicherheit über sehr viel schwerwiegendere Dinge und Hintergründe entscheiden. Wenn den Angeklagten irgend etwas nachgewiesen werden kann, wird mit den Leuten, die viel für die Popularität des Genres getan haben, „Gangsta Rap“ selbst der Prozeß gemacht.

Obwohl eine stärker werdende Front von Konservativen und schwarzen Gemeindevorstehern mobil machte gegen seine oft gewalttätigen und frauenfeindlichen Lyrics (Verteidiger sprechen von einer „Poesie des Viertels“), hat Snoop Doggy Dogg aus seinem traurigen Ruhm eine unglaubliche Erfolgsstory gezimmert. Sein Debütalbum „Doggystyle“, keine drei Monate nach Woldemariams Tod auf den Markt geworfen, hat fast viereinhalb Millionen Einheiten verkauft. Im letzten Jahr schlug Snoop Dogg damit etablierte Größen wie Prince und Madonna. Genau ein Jahr nach dem Mord war er, nach Hinterlegung einer Kaution von einer Million Dollar, der Starperformer bei den MTV Music Awards.

Erhärtung der Glaubwürdigkeit

Nicht daß er den Schlamassel, in dem er steckt, herunterspielen wollte, der 23jährige Rapper, der seinen Charlie-Brown-inspirierten Spitznamen schon seit seiner Kindheit in Long Beach weghat. Im Gegenteil, er hat noch einen draufgelegt, indem er einen Song namens „Murder Was The Case“ herausbrachte – und sich sogar mit einer Schußwaffe ablichten ließ. Eine Mordanklage, konnte man meinen, hatte ihm gerade noch gefehlt, sie war das letzte Steinchen zur Erhärtung seiner street credibility. Ähnlich wie Tupac Shakur, ein Rapper, der Anfang des Jahres einen weiblichen Fan zu sexuellen Handlungen gezwungen hatte, war Snoop nicht nur ein Maulheld. Niemand konnte sagen, er hätte dem allem keine Taten folgen lassen.

Aber in den vergangenen paar Monaten scheint die öffentliche Meinung zu Rap sich geändert zu haben. Die Eröffnung des Prozesses gegen Snoop Dogg fällt in eine Zeit, in der die Anti-Rap-Allianz, die so unwahrscheinliche Koalitionen wie die zwischen der schwarzen Civil-Rights-Veteranin Dolores Tucker und dem Präsidentschaftsanwärter Bob Dole möglich gemacht hat, ihren ersten signifikanten Sieg errungen hat: Auf ihren Druck hin hat Mediengigant Time Warner seinen Anteil an einer Plattenfirma, die mehrere Gangsta Rapper im Programm hatte, verkauft.

„Stachel der Schande“ im Fleisch

Time Warner legt Wert auf die Feststellung, der Verkauf der Anteile an der Firma „Interscope Records“ (die unter anderem Platten von Snoop Doggy Doggs Label „Death Row“ – Todestrakt – vertreibt), hätte nichts mit der Aufregung um Rap zu tun, aber es war doch ganz offensichtlich Angst im Spiel angesichts des steigenden Drucks im Vorfeld der kommenden Präsidentschaftswahlen. „Schande ist eine mächtige Waffe“, krähte Dole in die Welt hinaus, „und Time Warner hat den Stachel der Schande zu spüren bekommen.“

Doch schon vor Time Warners 100-Millionen-Rückzug gab es Anzeichen eines zunehmenden Unbehagens angesichts der kompromißlosen Anwendung von Wörtern wie „nigga“ und „bitch“ im Gangsta Rap. MTV hat eine reguläre Rap-Sendung aus dem Programm genommen. Die Inhaber von Plattengeschäften begannen, Warnhinweise und Altersbeschränkungen für das härtere Material zu fordern. Einige Radiostationen verbannten Rap von ihren Playlists. Und prominente schwarze Identifikationsfiguren wie Spike Lee verdammten die Rapper.

Dr. Tucker sieht es so: „Snoop Doggy Dogg ist einer der Übelsten. Er ist eines der Hauptvorbilder für heutige Jugendliche. Dieser Prozeß wird die Aufmerksamkeit auf die Rap-Texte lenken, so daß die Leute endlich mal kapieren können, wie diese Musik Kinder und Jugendliche beeinflußt. Wissen Sie, ich habe Briefe von Gefangenen bekommen, die einsitzen, weil sie alles, was in [Rap-]Videos vorgemacht wurde, nachgeäfft haben. Das haben sie jedenfalls behauptet.“

Wegen „Obszönität“ auf der Liste

Tuckers „National Political Congress Of Black Women“ hat einige der härtesten Texte auf der schwarzen Liste. Snoop Dogg ist gleich dreimal vertreten wegen Sex in den Lyrics, versetzt mit Obszönitäten. „Niemand will doch, daß seine Kinder von diesem Müll

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überschwemmt werden, nichts als Gewalt und Pornografie“, wettert Tucker. „Ich hab' selbst eine sechsjährige Nichte, die mit dieser Art von Kultur in Berührung kam und dann nach Hause kam und wissen wollte, was bitch bedeutet.“ Sie sieht die Schuld nicht direkt bei Künstlern wie Snoop. Der Punkt ist für sie, daß „die Industrie ihnen nur Verträge gibt, wenn Pornographie drin ist. Und Gotteslästerung.“

Doch so hoch der Symbolwert von Tuckers Time-Warner-Sieg auch sein mag, es ist ungewiß, ob Anti-Schmutz-und-Schund-Kampagnen wie diese gegen die Flut aus den Westwood Studios (wo „Death Row“ produziert) etwas ausrichten wird. Das Label hat gerade in aller Ruhe „Dogg Food“ von dem Projekt Tha Dogg Pound veröffentlicht [mit Snoop Doggy Dogg als Gastrapper; d. Red.], dem mutmaßlichen Stein des Anstoßes für den Warner/Interscope- Split. Und obwohl ihm die Unterstützung durch einen der „Big Six“-Konzerne fehlt, zweifelt niemand daran, daß die Platte förmlich aus den Regalen fliegen wird.

Die Miteigner von „Death Row“, Andre „Dr Dre“ Young (der neulich zu fünf Monaten verurteilt wurde, weil er einem Rap- Produzenten den Kiefer gebrochen hatte) und Marion „Suge“ Knight (auf Bewährung, weil er einen Rapper mit einem Gewehr niedergeschlagen und einen Schuß auf ihn abgegeben hatte), mag der Erfolg der Rapper von Bone, Thugs-N-Harmony zusätzlich ermutigt haben. Ihr Debütalbum wurde von einem kleinen Independent-Label veröffentlicht und verkaufte trotzdem fast 1,5 Millionen Einheiten in zehn Wochen.

Explizit und unverhohlen

Ebenso darf bezweifelt werden, daß Snoop Doggs öffentlich ausgetragener Konflikt mit dem Gesetz den Verkäufen des Albums schaden wird, an dem er in den Verhandlungspausen arbeiten will. „Was die Rap-Fans betrifft, wird das Ganze seine Glaubwürdigkeit noch einmal erhöhen“, meint Todd Boyd, Professor für Critical Studies an der University Of Southern California. „Rap ist eine Musikform, die stark von ihrer Authentizität lebt.“ Nach Dr. Boyd hat die öffentliche Ablehnung von Rap viel damit zu tun, daß Rap die Angst des weißen Mannes vor schwarzen Amerikanern verkörpert. „Im Rap ist alles ausgesprochen, explizit, unverhohlen.“

„Death Row“ sieht eher kommerzielle Gründe für die Attacken von Kritikern wie Tucker. Das Label geht gerichtlich gegen sie und den Hauptunterhändler von Warner, Gerard Levin, vor, weil Tucker angeblich von einem lukrativen Deal profitieren würde, der vorsieht, daß der Mediagigant weiterhin Rapper verpflichtet – allerdings nur, wenn sie textlich zu Kompromissen bereit wären.

Unterdessen hat die Familie von Philip Woldemariam Snoop Doggs unaufhaltsamen Aufstieg mit Empörung verfolgt. „Snoop Doggy Dogg ist im Fernsehen, im Radio, auf T-Shirts“, sagt Sofia, die 23jährige Schwester des Toten, „wir können nicht aus dem Haus gehen, ohne ihm irgendwie zu begegnen.“ Monatelang haben sie den Rapper gelassen in endlosen Anhörungen sitzen sehen, während die Verteidigung versuchte, Woldemariam als gewalttätiges, schußwaffenführendes Gang-Mitglied hinzustellen. „Sie verdrehen die Dinge, wie es ihnen paßt“, sagt Zeman, die ältere Schwester. „Dabei waren doch sie es, die Philip niedergemetzelt haben.“

Kein Prozeßmarathon zu erwarten

Das wahre Gemetzel wird beginnen, wenn der Prozeß endlich vor einer Jury in Gang kommt. Schon scheint es erste Parallelen zum Simpson-Prozeß zu geben: Unregelmäßigkeiten im Los Angeles Police Department haben zur Vernichtung von Beweismaterial einschließlich blutiger Kleidungsstücke und einer Kugel geführt, die bei der Schießerei im Spiel war, aber Anwalt Cochran besteht darauf, er werde nicht mit Verschwörungstheorien oder Diskriminierungsvorwürfen hinsichtlich seines Klienten argumentieren.

Dr. Boyd erwartet ohnehin keinen Prozeßmarathon: „Machen Sie sich mal da keine Sorgen. Das Opfer war ein Schwarzer.“

Aus dem Englischen

von Thomas Groß

q The Guardian