Ein Verlierer, zwei Gewinner

■ Unplanmäßig endet eine unselige Personaldebatte

Das Ergebnis der Wahl zum Parteivorsitz hat den Parteitag erleichtert, es könnte ihn genausogut erschaudern lassen. Nur 37 Prozent der Stimmen – erst in Anbetracht einer personellen Alternative ermißt sich das reale Maß der Unterstützung, die Rudolf Scharping in der Partei noch hatte. 37 Prozent der Stimmen – da muß sich ein Vorstand, der noch vor zwei Wochen einstimmig dessen erneute Kandidatur betrieb, fragen, inwieweit er noch die Parteimeinung repräsentiert. Die Spontandramaturgie der letzten beiden Tage spricht gegen die These einer von langer, nordrhein-westfälischer Hand vorbereiteten Inszenierung. Das Szenario spricht für ein Versagen der Spitzengremien, die der Geschlossenheit um jeden Preis huldigten, statt den Dissens entscheidungsfähig zu organisieren. Wegen dieses Mangels war das „Weiter so!“ mit Scharping eine genauso realistische wie schauerliche Perspektive.

Bei der gestrigen Wahl haben zwei Sozialdemokraten gewonnen: Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Ersterer hat den Vorsitz und damit das Recht des ersten Zugriffs auf die Kanzlerkandidatur, letzterer hat damit im Duell mit Scharping den längeren Atem bewiesen und sich die Option auf die Kanzlerkandidatur wieder eröffnet. Zwei Jahre hat Lafontaine nun Zeit – sofern er Ambitionen aufs Kanzleramt hat –, den Nachweis zu führen, daß es ihm gelingt, die divergierenden Lager der Sozialdemokratie, vom Mainstream bis zu den Postmaterialisten, zu binden. Lafontaine steht für ein Reformprojekt, das innerhalb eines rot- grünen Spektrums die Gewichte zugunsten der SPD verschieben kann. Doch werden Wahlen für die SPD in der Mitte gewonnen, und daran wird er letztendlich gemessen werden. An diese Aufgabe geht er mit der Vorbelastung des linken Sozialdemokraten, der bereits einmal als Kanzlerkandidat im Einigungsprozeß gescheitert ist. Wegen dieser Altlast hegen manche Ost-Sozialdemokraten noch heute das Mißtrauen, Lafontaines politische Koordinaten reichten nur von Saarbrücken bis nach Marienfelde, sein Denken sei in Kategorien der alten BRD befangen.

Doch will Lafontaine überhaupt Kanzler werden? Ein einzelner, der die Partei zusammenhalten und regieren soll, sei überfordert – im Juni 1993 waren diese Worte gegen Scharping gerichtet, der nach seiner Urwahl die Doppelfunktion im Handstreich in seiner Person einte, gegen Lafontaines Ambitionen und unter Bruch früherer Zusagen. Lafontaine ist nun in der Rolle Scharpings, doch wählt er deshalb dessen Mittel? Dieter Rulff