Mit Oskar aus der Mülltonne

■ Lafontaine stürzt Scharping. Der alte SPD-Parteichef läßt sich souverän zum Stellvertreter des neuen wählen

Berlin (taz) – Hat Oskar Lafontaine dem Drängen nachgegeben, oder hat er selber gedrängt? Noch wird gerätselt, ob der Wechsel an der SPD-Spitze eher einer spontanen Regung des saarländischen Ministerpräsidenten zu verdanken ist, oder ob es sich um einen von langer Hand eingefädelten Putsch handelt. Fest steht, daß Gerhard Schröder, der Macher aus Niedersachsen, seinem Amtskollegen aus dem Saarland, dem das Attribut „Zauderer“ anhängt, am Dienstag abend deutlich vernehmlich zugeraunt hat: „Du machst das.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Parteichef Rudolf Scharping allerdings bereits entschlossen, ihn aufzufordern, sich einer offenen Kampfabstimmung zu stellen. Am Mittwoch morgen gab Lafontaine seine Kandidatur für das höchste Parteiamt bekannt. Um 10.54 Uhr stand schließlich fest: Oskar Lafontaine ist der achte Parteichef der Nachkriegs-SPD. Mit überwältigender Mehrheit von 321 zu 190 Stimmen hatten sich die Delegierten auf dem Mannheimer Parteitag gegen den schwer angeschlagenen Rudolf Scharping entschieden.

„Genossinnen und Genossen, ich war der Auffassung, wir brauchen Klarheit. Wir haben sie jetzt“, kommentierte der gestürzte Parteichef seine Niederlage und schloß sein kurzes Statement mit den Worten: „Oskar, manches tat bitter weh, aber wir müssen jetzt die Kraft finden, Schmerzen der Vergangenheit hinter uns zu lassen, denn wir haben eine Aufgabe, die wichtiger ist als wir selbst.“ Kurz zuvor hatte auch der Wahlsieger die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. „Ich weiß, daß ich darauf angewiesen bin, daß Rudolf Scharping mit mir so zusammenarbeitet“, sagte er mit freiwilliger oder unfreiwilliger Komik, „wie ich versucht habe, in den letzten Jahren mit ihm zusammenzuarbeiten.“ Gelächter bei Scharpings Anhängern.

Der Wechsel an der Parteispitze war schon am Dienstag eingeläutet worden. In seiner Rede wandte sich Lafontaine strikt gegen den Einsatz deutscher Tornados auf dem Balkan und gegen eine Standortdebatte, die nur den Sozialabbau meine. Diese Herausforderung des Parteichefs brachte ihm tosenden Beifall ein, und einige Delegierte forderten ihn zur Kandidatur auf. Am Mittwoch früh konnte Lafontaine dann nach eigenem Bekunden dem Drängen nicht mehr widerstehen.

Kurz nach seiner Kür zum Parteichef bat Lafontaine seinen gedemütigten Vorgänger, sich für einen der fünf Posten des stellvertretenden Parteivorsitzenden zur Verfügung zu stellen. Scharping akzeptierte den Rollentausch. Die Delegierten dankten es ihm und wählten ihn skrupellos mit 92,2 Prozent der Stimmen. Mit deutlich weniger Stimmen wurden Wolfgang Thierse (79,8 Prozent), Johannes Rau (78,7 Prozent) und Herta Däubler-Gmelin (74 Prozent) als stellvertretende Vorsitzende bestätigt. Heidemarie Wieczorek- Zeul verpaßte die notwendige Mehrheit und schaffte es knapp im zweiten Anlauf (55,2 Prozent).

Vor allem die Parteilinke und die Jusos feierten den Sieg Lafontaines, den CDU- Generalsekretär Peter Hintze als den Abschied der SPD von der politischen Mitte interpretierte. Morgenluft wittern nun PDS und Bündnis 90/Die Grünen. PDS- Chef Lothar Bisky hofft nun auf den „Mut zu einem Kurswechsel im Umgang mit der PDS“, und Krista Sager und Jürgen Trittin vom grünen Bundesvorstand äußerten ihre nunmehr „berechtigte Hoffnung auf einen überfälligen Wechsel 1998“. Noch ist allerdings nicht über den SPD-Kanzlerkandidaten entschieden. Und noch ist unklar, ob Scharping den Fraktionssitz behält. Die Karten sind nun neu gemischt. Ein neuer Poker beginnt. Nur einen rührt das nicht. „Sie glauben doch nicht im Ernst“, gab Kanzler Kohl im Fernen Osten zum besten, „daß ich in Hanoi eine Erklärung zu deutschen innenpolitischen Problemen abgebe.“ Thomas Schmid

Tagesthema Seiten 2 u. 3, Kommentar Seite 10