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Vorwärts, wir müssen zurück – Politik an den Grenzen des Wachstums

■ „Wer am Schuldenabbau als Ziel des Sanierungsprogramms festhalten will, muß die heilige Kuh ISP auf Diät setzen“: Sechs Beispiele für Sparen und Erneuern Von Ralf Fücks, ex-Ampelsenator, Bürgerschaftsabgeordneter für Die Grünen

I / Vorbemerkung

Jahrelang haben wir von den „Grenzen des Wachstums“ geredet – jetzt ist es soweit. Nicht nur die ökologischen Belastungsgrenzen des Globus sind überstrapaziert – auch die Grenzen des finanzpolitisch „Machbaren“ in der Bundesrepublik sind überschritten. Der doppelte Druck von wachsender Staatsverschuldung und brutaler Kostenkonkurrenz auf globalen Märkten wird dazu führen, daß die öffentlichen Ausgaben eingeschränkt und die verfügbaren Einkommen für einen Großteil der Bevölkerung sinken werden.

Bremen ist bloß unfreiwilliger Vorreiter einer Entwicklung, die inzwischen auch den Bund, die meisten Länder und die meisten Kommunen erfaßt hat. In den von Wirtschaftswunder und Wachstumseuphorie geprägten Zeiten, in denen meine Generation groß geworden ist, war Politik gleichbedeutend mit der Verteilung des Mehr – Ausbau des öffenlichen Diensts, der öffentlichen Einrichtungen, der Transferleistungen. Reformpolitik hieß mehr Geld für neue Programme. Horst-Werner Franke und Henning Scherf waren in Bremen Prototypen der guten Taten auf Pump. Dieses Wachstumsmodell kam spätestens in den 80er-Jahren in die Krise, bloß wollte es niemand so recht wahrhaben. Stattdessen wurde die Kreditaufnahme erhöht. Folglich schwoll die Verschuldung der öffentlichen Hände an. Der Fall der Mauer, die Integration der neuen Länder mit jährlichen Transferzahlungen von 150-200 Milliarden DM für Ostdeutschland haben die Haushaltskrise des Bundes, der Länder und Gemeinden im Westen zugespitzt.

Um einen naheliegenden Einwand gleich vorwegzunehmen: Selbstverständlich gibt es noch Luft für höhere Staatseinnahmen, z.B. bei der Erbschaftssteuer, der Mineralölsteuer oder durch konsequenteres Vorgehen gegen die chronische Steuerhinterziehung. Aber die Finanzkrise der öffentlichen Hand wird nicht in erster Linie durch höhere Einnahmen (sprich höhere Steuern und Gebühren) lösbar sein – eine Abgabenquote von ca. 46% und eine Staatsquote von über 50% werden sich unter den Bedingungen internationaler Standortkonkurrenz nicht wesentlich steigern lassen.

Die Basisdaten des Bremer Haushalts zeigen, wie tief der finanzpolitische Karren mittlerweile im Dreck steckt: Trotz der 1,8 Milliarden DM Sanierungshilfe des Bundes wird Bremen im laufenden Jahr zusätzlich Kredite in Höhe von rd. 30 Mio DM aufnehmen müssen, um die Ausgaben zu decken. Land und Stadtgemeinde Bremen geben in diesem Jahr ca. 2, 24 Milliarden DM für Personalkosten aus; 1,2 Mrd. DM für Zinsen und rd. 820 Mio DM für Investitionen. Dazu kommen noch die in „Schattenhaushalten“ vorfinanzierten Groß- investitionen wie der Ausbau des Containerterminals in Bremerhaven, die das Kreditvolumen aufblähen. Die öffentlichen Ausgaben sind nur zu 80% durch Einnahmen gedeckt – d.h. wir finanzieren schon seit langen Jahren den laufenden Betrieb auf Pump.

Selbst wenn es Bremen gelingen sollte, eine höhere Einwohnerwertung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs durchzusetzen oder im Bündnis mit anderen Großstädten einen Anteil an den Einkommenssteuern der Pendler zu erstreiten –was dringend überfällig ist-, würde uns das zwar finanziell Luft verschaffen, aber an den grundlegenden Trends nichts ändern.

Das neue Bremer Modell heißt deshalb: wie kann der Rückbau der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Leistungen so organisiert werden, daß unser Gemeinwesen nicht sozial aus den Fugen gerät und in Tristesse versinkt?

Das ist schon schwer genug, zumal wir psychologisch immer noch alle auf Wachstum (oder zumindest auf Besitzstandswahrung) programmiert sind. Erschwerend kommt hinzu, daß ausgerechnet in einer Situation auf die Ausgabenbremse getreten werden muß, da die ökomischen Fundamente Bremens knacken und mit der Massenarbeitslosigkeit auch die Armut wächst. Das Mini-Land Bremen hat in den letzten drei Jahren rund 20.000 Arbeitsplätze verloren, und ein Ende dieser erschreckenden Entwicklung ist nicht in Sicht. Es schrumpfen mittlerweile nicht nur die traditionellen „Krisenbranchen“, selbst in scheinbar zukunftssicheren Industrien wird scharf rationalisiert. Und die Verluste im industriellen Sektor werden in Bremen viel weniger als in anderen Ballungszentren durch das Wachstum des Dienstleistungssektors kompensiert. Wir müssen also gleichzeitig sparen und investieren, um unsere ökonomische Basis zu erneuern – das klingt fast wie die Quadratur des Kreises, aber eine Alternative sehe ich nicht.

Der politische Streit wird sich darauf konzentrieren müssen, wo und wie gespart wird – und was tatsächlich „Zukunftsinvestitionen“ sind, ökologischen Umbau eingeschlossen.

II Sparen und erneuern

Die Große Koalition ist als Sanierungskoalition angetreten. Wenn sie so weitermacht, wird sie eher die Rolle des Konkursverwalters spielen.

1. Beispiel: Der „Solidarpakt“

Der „Solidarpakt“, also der Vorschlag, durch Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich im öffentlichen Dienst die Personalkosten drastisch zu senken. Richtig ist, daß der öffentliche Dienst sich nicht hinter seinen Besitzständen verschanzen kann, wenn die Gehälter nur noch auf Pump finanziert werden und ringsherum in der Privatwirtschaft neue Arbeitszeitmodelle als Alternative zu Massenentlassungen praktiziert werden. Aussagen von Standesvertrern, die grundgesetzlich verbürgte „Alimentierung“ der Beamten dürfe nicht von der Finanzistuation der öffentlichen Hand abhängig gemacht werden, sprechen nur für die Abschaffung des Berufsbeamtentums.

Leider wurde der Grundgedanke des „Solidarpakts“ schon diskreditiert, bevor ernsthafte Verhandlungen überhaupt begonnen haben. Das gilt für die ungeklärten rechtlichen Rahmenbedingungen einer Bremer Sonderregelung wie für das Fehlen einer sozialen Komponente – man kann unmöglich die Beschäftigten des einfachen und mittleren Dienstes mit den oberen Einkommensgruppen über einen Leisten schlagen. Außerdem würde eine pauschale Arbeitszeitverkürzung ohne ein Kontingent für gezielte Neueinstellungen die Probleme nur verschärfen.

So wurde es den Gewerkschaften und Personalräten leicht gemacht, auf Verweigerungskurs zu gehen. Dabei ist doch klar: es geht nur mit ihnen, nicht frontal gegen sie – zumal die Drohung mit 3.600 Entlassungen ein stumpfes Schwert ist. Ein Großteil der Beschäftigten kann sich notfalls hinter dem Kündigungsschutz verschanzen und in die innere Emigration gehen – bleiben die ohnehin mageren jüngeren Jahrgänge des öffentlichen Dienstes. Sollen ausgerechnet die an die Luft gesetzt werden?.

2. Beispiel: Verwaltungsreform

Das größte Sparpotential liegt in der Organisation der öffentlichen Verwaltung selbst, ihren aufgeblähten Hierarchien, veralteten Management- und Arbeitsmethoden, undurchsichtigen Kostenstrukturen, den zahlreichen Reibungsverlusten durch Kompetenzüberschneidungen und Gänsemarschverfahren (ein Vorgang passiert nacheinander x Instanzen) und den fehlenden Leistungsprämien im System der Bezahlung und des beruflichen Aufstiegs. Diese Produktivitätsreserven müssen schnell und systematisch erschlossen werden, statt „Sparen“ vor allem als Abbau öffentlicher Leistungen für die Bevölkerung zu begreifen.

Dafür gibt es mittlerweile auch in Bremen viele Konzepte und einige praktische Ansätze. Was es nicht gibt, ist eine „Reformoffensive“, die vom Senat systematisch vorangetrieben wird und sich mit den reformerischen Kräften auf allen Ebenen des öffentlichen Dienstes verbindet. Große Konzerne haben ihre gesamte Organisationsstruktur innerhalb weniger Jahre umgekrem pelt, dezentralisiert und ganze Hierarchiestufen gestrichen, um Kosten zu senken und neue Motivation bei ihren MitarbeiterInnen freizusetzen. Von einer vergleichbaren Initiative ist Bremen weit entfernt, und es sieht nicht so aus, als ob der Senat sich diese Aufgabe stellen würde.

Typisches Beispiel dafür ist der Umgang mit der Senatskommission für Personalwesen (der zentralen Personalverwaltungs-Behörde). Sie müßte zumindest in dem Maß auf eine schlanke Beratungs-, Kontroll- und Steuerungsinstanz schrumpfen, in dem Kompetenzen im Zuge der „dezentralen Ressourcenverantwortung“ auf die Fachressorts, Ämter und Verwaltungen verlagert werden. Aber weder mit dem Verlagern noch mit dem Schrumpfen geht es recht voran. Finanzsenator Noelle, vor der Wahl noch Vorkämpfer für Abrüstung der SKP, verfährt jetzt nach dem Motto „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ und stellt sich schützend vor seinen Apparat – vielleicht hat die CDU entdeckt, welch nützliches Instrument die SKP sein kann, um ihren Nachholbedarf in Sachen Personalpolitik zu stillen.

3. Beispiel: Privatisierung

Privatisierung ist sicher nicht der Königsweg aus der öffentlichen Finanzmisere – aber etwas mutiger könnte die Große Koalition durchaus sein, wenn es um Privatisierung von technischen Dienstleistungen für den Eigengebrauch des öffent.lichen Dienstes geht:

– So sollte die Reparatur und Wartung von Fahrzeugen generell ausgeschrieben werden. Damit müßten sich die verbliebenen öffentlichen KFZ-Werkstätten der privaten Konkurrenz stellen.

– Die Umwandlung der bisherigen „Eigenbetriebe“ BreKom (Telefondienste), Informations- und Datentechnik, BreHoch (bauende Ämter), auch der Bremer Entsorgungsbetriebe in GmbH's mit privater Beteiligung sollte vorangetrieben werden

– Flughafen und Stadthalle sind allemal geeignetere Kandidaten.für eine Teilprivatisierung als ausgerechnet die „Bremische Gesellschaft“, die unverzichtbare wohnungspolitische und Stadtentwicklungs-Aufgaben wahrnimmt.

4. Beispiel: die Giftliste...

Jede(r), der kurzfristig wirksame Ausgabenkürzungen vorschlägt, wird Proteste ernten. Der besondere Affront der „Giftliste“ aus dem Hause Noelle liegt in ihrer offenkundigen sozialen Schlagseite und in der Stoßrichtung gegen das Netz sozialer und kultureller Initiativen und Projekte, das Bremen wie kaum eine andere Stadt auszeichnet. Gerade in Zeiten, in denen staatliche Dienstleistungen zurückgefahren werden müssen, wäre es umso wichtiger, die gesellschaftliche Eigeninitiative und Selbsthilfe zu fördern, statt sie zu ersticken. Ohne dieses Netz von Vereinen, freien Trägern und Selbsthilfegruppen werden die Ausgrenzungsprozesse dramatisch zu- und die Vitalität Bremens drastisch abnehmen. Wir müssen materielle Bedingungen und soziale Netze unterstützen, die es erlauben, ein menschenwürdiges Stadtleben auch außerhalb (oder am Rand) des schrumpfenden Vollbeschäftigungs-Sektors zu führen, mit geringerem Einkommen und mehr Eigenarbeit. Dazu gehören neben den Selbsthilfe-Projekten auch Kleingärten, genossenschaftliche Wohnformen, der ÖPNV (als Alternative zum Auto) und natürlich der „zweite Arbeitsmarkt“, dessen Finanzierung inzwischen nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch durch den Senat bedroht wird.

5. Beispiel: das Sonder-Investitionsprogramm (ISP)

Wer am Schuldenabbau als Ziel des Bremer Sanierungsprogramms festhalten will, muß die heilige Kuh „ISP“ auf Diät setzen und einige Großprojekte beerdigen, von denen die Zukunft Bremens gewiß nicht abhängt – z.B. den Hemelinger Tunnel, der allein nach heutigem Stand über 560 Mio DM verschlingen würde.

Aufgrund der drastischen Einbrüche bei den zukünftigen Steuereinnahmen würde das „ISP“ im Volumen von 4,8 Milliarden DM zunächst die Schuldentilgung auf Null reduzieren und dann ab 1999 die Kreditaufnahme massiv erhöhen. Das wären am Ende zusätzlich 350 Mio DM Zinsbelastungen im Jahr, die voll auf Kosten der Ausgabespielräume in den „konsumtiven“ Politikfeldern Soziales, Bildung und Kultur gingen.

Die Philosophie des ISP setzt darauf, mit einer großen Investitionsanstrengung der öffentlichen Hand einen Investitionsboom der privaten Wirtschaft und ein entsprechendes Wachstum von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen im Stil der 70er Jahre auszulösen. Es ist heute schon klar, daß dieser Boom so nicht eintreffen wird. Vom ISP in seiner heutigen Dimension und Struktur werden vor allem die Schulden und Zinsen bleiben, die den Handlungsspielraum in der Zukunft immer enger machen. Das ISP sollte deshalb halbiert, der eingesparte Betrag in die Schuldentilgung gesteckt werden.

Gleichzeitig muß die Diskussion über die Vorrangprojekte innerhalb des ISP neu eröffnet werden. Welche Investitionen flankieren den Strukturwandel, fördern die Modernisierung der Bremer Wirtschaft und machen die Stadt attraktiver für Unternehmen und EinwohnerInnen, die hier Steuern zahlen sollen? In Zukunft werden weniger die Tiefbauinvestitionen über die wirtschaftliche Dynamik eines „Oberzentrums“ entscheiden, als die qualitativen Faktoren: Forschung und Entwicklung, Aus- und Weiterbildung, Medien und Telekommunikation, Verwaltungseffizienz, kulturelle Kreativität und Umweltqualität. Diese Verschiebung muß sich auch im ISP widerspiegeln. Die traditionelle Grenzziehung zwischen „produktiven Investitionen“ (zugunsten der Industrie und des Transportsektors) und „konsumtiven Ausgaben“ (z.B. für Bildung und Kultur) ist pure Ideologie geworden.

6. Beispiel: Wasser predigen und Wein trinken

Daß als Begleitmusik zum geforderten „Solidarpakt“ für einen altgedienten CDU-Fraktionär eine Stelle als Europa-Staatsrat samt Abteilung eingerichtet wird, der bis heute nicht überzeugend darlegen kann, was er eigentlich Neues tun soll; daß Führungspositionen im Rathaus ohne Ausschreibung besetzt werden; daß in diversen Ressorts sich das Beförderungskarrussell weiterdreht, als wäre nichts geschehen; daß die Koalition in der Bürgerschaft mit der Begründung „Nachholbedarf“ eine Diätenerhöhung durchzieht – das alles mögen finanzpolitisch Marginalien sein. Aber sie verderben die Sitten und verspielen die Glaubwürdigkeit einer konsequenten Sparpolitik.

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