Bremen kaputt?

■ „Die aktuellen Protestbewegungen zeigen: Bremen lebt. Die Bremer Bürger beteiligen sich ganz kräftig an der Auseinandersetzung über die Geschicke ihrer Heimatstadt.“ Interview mit Reinhard Hoffmann, Chef der Senatskanzlei

taz: Herr Hoffmann, im ersten Anlauf ist der Versuch gescheitert, wenigstens die Bremer Staatsangestellten zu einem Lohn-Schnitt zu gewinnen, der bei der Sanierung der Staatsfinanzen helfen sollte. Da gab es viele handwerkliche Fehler, manchmal wußte die rechte Hand der großen Koalition nicht, was die linke wollte...

Reinhard Hoffmann, Chef der Senatskanzlei: Die Bemühungen um einen Solidarpakt mit dem öffentlichen Dienst sind keineswegs gescheitert. Wir führen mit den Gewerkschaften politische Gespräche über die beiden Aspekte des Solidarpakts, nämlich über die Beschäftigungswirkung einerseits – also den Erhalt von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst – und andererseits über die haushaltspolitische Notwendigkeit der Verringerung von Personalausgaben. Wir werden mit den Gewerkschaften über eine größere Zahl von Instrumenten reden, die für diese beiden Zwecke eingesetzt werden können. Es geht nicht nur um die Frage von Arbeitszeitverkürzung, es geht vielmehr auch um die Frage des Verzichts auf Tarifsteigerungen, um freiwillige Teilzeitbeschäftigung in größerem Umfang mit neuen Modellen der Teilzeit. Es geht um individuelle Arbeitszeitsouveränität und um weitere Instrumente. Unser Vorschlag schließt im übrigen den im Mai mit der GEW geschlossenen Kooperationsvertrag ein.

taz: Aber liegt in der Absage der Gewerkschaften und auch der Koalitions-Parteien nicht ein tiefergehendes Signal?

Die Absage war wohl nur eine vorübergehende. Tiefer gehend muß aber auch auf diesem Feld deutlich werden, daß es Einschnitte geben muß. Einschnitte, die alle Bürger bei der Gestaltung der öffentlichen Dienstleistungen erdulden und die auch die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes tragen müssen. Es ist überhaupt nicht überraschend, daß hier nicht gleich im ersten Anlauf ein Harmoniegebilde entstanden ist. Wir müssen hart miteinander verhandeln und den sozialverträglichen Weg für eine Lösung bauen, der sowohl den Beschäftigungsaspekt einbezieht – nämlich Solidarität mit den Arbeitslosen und dem jungen Nachwuchs – als auch den Haushaltsdruck auf Reduzierung der Personalausgaben, um die Sanierung der bremischen Finanzen und des Landes zu erreichen.

Die Lehrer sind auf Krawall, die Behinderten standen schon auf dem Marktplatz, die Kinder machen eine Laternen-Demonstration – ist es nicht Illusion, auf einen Solidarpakt mit der Bremer Stadtgesellschaft zu setzen?

Wenn das nur eine Illusion wäre, hätte sich das Land Bremen, hätten sich die Bürger und die Politiker Bremens bereits von der Tagesordnung abgemeldet. Im Gegenteil: Wir müssen und wir dürfen nicht jede Bekundung von Interessen, auch nicht den Widerstand von Betroffenen, als eine Absage an gemeinsame Zielsetzungen von Bürgern und Politik, von Senat und Stadtgesellschaft ansehen. Das sind ganz selbstverständliche Beteiligungen an einem übergreifenden Meinungsbildungsprozeß, und erst am Ende einer solchen auch kontroversen Diskussion kann dann eine Solidarität aller stehen. Denn erst nachdem alle Betroffenen in einem partizipativen Verfahren wirklich beteiligt waren und wenn sie dann in den Ergebnissen eine möglichst sozial gerechte Verteilung der Lasten auf alle Schultern erkennen, können sie dieses Vorhaben als echte Solidaritätsgemeinschaft akzeptieren.

Am Anfang des Sanierungsprozesses stand eine große Versammlung der grauen Anzüge, Bonzen, Bosse, Bürokraten. Die durften damals auf den Sanierungspakt mit einem Gläschen Sekt anstoßen, auf Staatskosten. Nicht einmal die hat man seitdem wieder zusammengerufen, geschweige denn ist das Sanierungsbündnis mit denen, die dafür Lasten tragen sollen, begründet worden. Ist das nicht eine Instinktlosigkeit und ein schwerer politischer Fehler?

Sie werden verstehen, daß ich mir Ihre Charakterisierung im einzelnen selbstverständlich nicht zu eigen mache. Die Bremer Erklärung von 1992 ist immer noch ein wesentliches und aus meiner Sicht: tragfähiges Element für die jetzt anstehenden übergreifenden Sanierungsbemühungen. Und wie schon während der Koalitionsverhandlungen, so setzen wir auch jetzt die Gespräche mit den Repräsentanten der Bremer Erklärung von den verschiedenen Seiten her fort. Wir führen Gespräche mit Gewerkschaften wie auch mit der Unternehmerseite. Noch im Dezember werden wir die gesamte Runde von Interessen und Repräsentanten wieder zusammenführen. Mit den Unterzeichnern der Bremer Erklärung möchten wir vor allen Dingen darüber reden, wie sich die bisherigen Sanierungsbemühungen entwickelt haben und welche weiteren Anstrengungen wir gemeinsam unternehmen müssen, um unter erheblich veränderten Rahmenbedingungen die bremische Sanierung weiter zu betreiben.

Die Gewerkschaftsfunktionäre sollen für andere auf Lohn verzichten, die Handelskammer stößt darauf an – ein groteskes Sanierungsbündnis. Sind die alten Strukturen der Bonzen, Bosse und Bürokraten nicht viel zu selbstgerecht und verkrustet, um für die Gesellschaft einen Sanierungspakt zu legitimieren?

Auch wenn Sie diese Etikettierung wiederholen, bleibt sie unzutreffend. Natürlich haben die Gewerkschaften wie auch die Politiker und Parteien, wie auch die Unternehmer bekanntlich Schwierigkeiten in der Praktizierung moderner, auf Beteiligung von unten angelegter Organisationsformen. Das ist ein allgemeines gesellschaftliches und politisches Problem, an dem alle arbeiten müssen. Bei unserem Sanierungsbemühen und bei einem Solidarpakt kann nicht nur bloße Stellvertreterpolitik gemacht werden. Solidarisches Handeln bedeutet, daß die Betroffenen selber beteiligt werden und dann darüber mitentscheiden, welches solidarische Opfer sie im Austausch mit anderen, die auch Opfer bringen, selbst erbringen können und wollen.

Es gibt kein gesellschaftliches Projekt, kein Ziel, das die Bevölkerung für einen Solidarpakt einnehmen könnte. Niemand sieht ein, daß man höhere Kita-Gebühren zahlen soll, nur weil sich Bremen wegen des Straßenbaus höher verschuldet.

Das gesellschaftliche politische Ziel der Sanierung Bremens ist, daß das bremische Gemeinwesen in Stadt und Land auch in Zukunft fähig ist, die vielfältigen Leistungen für alle Bürgerinnen und Bürger vorzuhalten. Dazu müssen wir die hohe Verschuldung Bremens stoppen und reduzieren, weil wir sonst nicht mehr handlungsfähig sind. Und deswegen müssen wir auch die öffentlichen Dienstleistungen neu definieren, mit einer neuen Qualität ausstatten und die Leistungserbringung neu organisieren. Dabei macht es keinen Sinn, die eine öffentliche Aufgabe gegen die andere zu stellen. Der Straßenbau gehört genauso zur notwendigen Lebensqualität in einer Großstadt wie die Selbstverständlichkeit der sozialen Betreuung von Kindern und Jugendlichen.

Nochmal nachgefragt: Die Rede von der Trennung von Investitions- und konsumtiven Ausgaben ist eine große Lüge: Die Investitionen von heute werden finanziert mit komsumtiven Kürzungen wegen der Zinslast von morgen.

Wir müssen zunächst die laufenden Betriebskosten, also die konsumtiven Sach- und Personalausgaben, durch unsere Steuer- und Gebühreneinnahmen abdecken können, so daß wir dafür keine neuen Schulden aufnehmen müssen. Das haben wir bisher noch nicht erreicht. Deswegen müssen wir in diesen beiden Bereichen sparen. Bei den Investitionen haben wir haushalts- und verfassungsrechtlich die Möglichkeit, diese durch Kredite zu bezahlen. Das passiert überall, selbst in der privaten Wirtschaft, weil davon ausgegangen wird, daß (und das gilt auch für einen größeren Teil im öffentlichen Bereich) Investitionen insofern rentabel sind, als sie sich später hinsichtlich des aufgewandten Kapitals amortisieren. Und deswegen ist der für eine Investition aufgenommene Kredit keine Bedrohung der konsumtiven Ausgaben in den zukünftigen Jahren. Über eine solche Investition können wirtschaftliche Effekte erzielt werden, sei es mittels gesteigerter Rentabilität und Rationalisierung, sei es in Form zusätzlicher Arbeitsplatzschaffung.

Wenn Bremens Schuldenlast auch nach den Sanierungsmilliarden nicht geringer geworden ist, sondern eher größer – wie sollen die Staatsfinanzen saniert werden?

Wir verfolgen das Ziel, die Schuldenlast auf keinen Fall größer werden zu lassen; deswegen auch die immensen Sparanstrengungen in den kommenden Haushalten. Die Sanierung Bremens muß zunächst einmal eine Trendwende erreichen, daß wir die Verschuldung nicht weiter verschärfen, sondern im Gegenteil möglichst sogar reduzieren. Wir müssen aber auch deutlich sagen, daß das bremische Sanierungsproblem zunehmend keine bremische (oder saarländische) Spezialität mehr ist, sondern daß dies ein Problem für alle öffentlichen Haushalte wird. Deswegen wird jetzt deutlich, auch aus den verschiedenen politischen Lagern, über eine Neudefinition der Staats- und Steuerquote nachgedacht. Dies gilt auch für Bremen.

Wenn man nicht an Wunder glaubt, auch nicht an Wirtschaftswunder, wann droht der Finanzkollaps? 1999? 2006?

Bis ins nächste Jahrtausend mit konkreten Zahlen argumentieren zu wollen, halte ich für abwegig. Für 1999, das letzte Jahr dieser Legislaturperiode, gehe ich davon aus, daß wir keineswegs einen Finanzkollaps erleiden, sondern daß wir erfolgreich Schritte zu einer Sanierung der bremischen Finanzen in dem eben angesprochenen Umfang machen, nämlich auf jeden Fall eine zusätzliche Verschuldung zu vermeiden und möglichst auch Teile der Verschuldung mitabzubauen.

Der frühere Finanzsenator Kröning hat in einem unbedacht ehrlichen Augenblick einmal gesagt, nur ein Währungsschnitt könnte jetzt noch helfen, eine Entwertung des Geldes, das heißt eine Entwertung der Guthaben auf den Privatkonten und damit auch eine „Entwertung“ der öffentlichen Schulden. Eine gute Idee?

Sicherlich gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, auf der gesamtstaatlichen Ebene zu einer Verbesserung der Haushaltssituation der öffentlichen Gebietskörperschaften zu kommen. Wir werden uns an dieser Diskussion aktiv beteiligen, aber zunächst einmal müssen wir den bremischen Eigenbeitrag zur Sanierung auf den Weg bringen.

In der Weimarer Republik hat sich der Staat über eine große Inflation saniert. Was sonst könnte Bremen helfen?

Ich will noch einmal wiederholen: Wir müssen durchaus bremenspezifisch handeln und sparen, auch wenn wir wissen, daß unser Problem zunehmend das allgemeine Problem der öffentlichen Haushalte wird. Eine Inflation auf gesamtstaatlicher Ebene anzuzetteln, ist mit Sicherheit auch nicht das richtige Patentrezept. Das verbietet sich schon angesichts der Folgen, die in der Weimarer Republik damit letztlich verbunden waren. Wir müssen auf der gesamtstaatlichen Ebene neue Wege der sozialverträglichen Neuverteilung von Einkommen und Steuern erreichen.

Ist Bremen kaputt?

Wenn ich mir die von Ihnen eingangs angesprochenen Protestbewegungen anschaue, kann ich nur feststellen: Bremen lebt. Die Bremer Bürger beteiligen sich ganz kräftig und deutlich an der Auseinandersetzung über die Geschicke ihrer Heimatstadt, und solange das geschieht, ist die wichtigste Voraussetzung für eine Sanierung vorhanden: denn Bremen lebt dank des Engagements seiner Bürger.

Und Ihre Hoffnung?

Daß wir die Zukunft Bremens in den kommenden Jahren zunehmend mehr auf ein solides Fundament stellen können. Ich hoffe, daß dies bei allen Belastungen für die Bürger in den verschiedenen Bereichen in einer konstruktiven und solidarischen Weise bewältigt wird.

Fragen: K.W.