Um Himmels Willen

■ Von der ewigen Sehnsucht nach den Sternen: Die „Olbers-Gesellschaft“, Heimathafen aller Bremer Amateur-Astronomen, feiert ihr 75jähriges Bestehen – trotz Space-Park und Eduscho-Billigrohren

Viel hätte nicht gefehlt, dann wäre Herr Leue in die Geschichte der Astronomie eingegangen. Dann würde heute der „Leue-Komet“ seine unheimliche Bahn durch den Weltenraum ziehen. Leider kam ein Plattenfehler dazwischen. Leue zeigt die schadhafte Fotografie heute noch gerne her: Jenes Bild vom Orion-Sternbild, das er am 4. Januar 1958 durch sein Fernrohr aufnahm; jenes Bild, durch das während der 75 Minuten langen Aufnahme zufällig „eine kometenhafte Erscheinung“ hindurchflog. Fieberhaft wartete Leue auf die Entwicklung – vergebens. Dort, wo der unbekannte Komet erscheinen sollte, blieb das Foto schwarz. Zwei Wochen später schlug der amerikanische Hobbyastronom und „Kometenjäger“ Burnham zu, schoß das erste Foto des neuen Objekts und drückte ihm seinen Namen auf: „Burnham 1958a“. Leue nahm es mit der Gelassenheit eines wahren Kometenjägers hin. „Ein Gutes hatte der ganze Rummel. Ich bekam viel Post.“

Gelassenheit und unendliche Geduld: Die Tugenden der Hobby-Astronomie werden von Besessenen wie Hans-Joachim Leue in der Bremer „Olbers-Gesellschaft“ hochgehalten. Hier kommen seit 75 Jahren jene zusammen, die mit zäher Liebe den Sternen, Planeten und Kometen nachjagen. Vom Namensgeber, dem Bremer Arzt und begnadeten Amateur-Astronomen Wilhelm Olbers, stammten zur Zeit der Vereinsgründung noch die ersten Fernrohre. Heute verfolgen die Aktiven unter den 500 Mitgliedern entfernte Sternenhaufen und Spiralnebel mittels digitaler Aufnahmetechniken. Plattenfehler sind nun ausgeschlossen. Kein Komet mehr, der heute noch Leues 30-Zentimeter-Rohr samt automatischer Kameraführung entginge.

Wie oft hat Leue seither versucht, den Orion festzuhalten? Noch brillanter, noch schärfer, noch schöner? „Ach“, winkt Leue ab, „fragen Sie nicht!“ Die Technik werde eben immer besser. Kein Gedanke mehr an die ersten, selbstkonstruierten Rohre der Nachkriegszeit. „Bullaugen von ausgeschlachteten Schiffen waren damals sehr begehrt“, sagt Leue – die alten Gläser wurden per Hand auf die richtige Brennweite geschmirgelt und dann zur Kometenjagd abgerichtet. Bastler gebe es zwar immer noch, bestätigt sein Olbers-Kollege Vornholz. Aber der Griff zum fix-und-fertigen Eduscho-Billigrohr mache den Einstieg heutzutage zum Kinderspiel. „Jedes Jahr zu Weihnachten das gleiche“, stöhnt Vornholz.

Zu Weihnachten nämlich wollen die ersten Fernrohre verschenkt sein. Eher eins für 200 Mark (Eduscho) oder doch schon für 600 (Brinkmann)? Solchen Eltern, besorgt um den astronomischen Wissensdurst der Kleinen, raten die Olbers-Amateure ab. „Erstmal mit bloßen Augen sehen lernen“, sagt Vornholz und Herr Leue nickt beifällig. „Dann mal mit dem Prismenfernglas nachsehen, was man entdecken kann.“ Orion, klar; großer Wagen, klar; aber Mars? Und Jupiter? „Man muß den Himmel verstehen“, sagt Vornholz. Und erst dann weiter in die Ferne schweifen, den Kometen nach.

Den Himmel verständlich zu machen: Das ist den Olbers-Gesellschaftern die vornehmste Aufgabe. Hier nimmt man das alte Wort „Volksbildung“ noch ohne falsche Scheu in den Mund. Den Traum von der eigenen „Volkssternwarte“ hat sich der Verein nie erfüllen können. Immerhin verfügt man heute über ein Klein-Planetarium. Unter dessen sechs Meter durchmessender Kuppel versammelt Vornholz von Zeit zu Zeit ein buntes Völkchen, um diesem die Wunder des Himmels näherzubringen. Existenzielle Fragen wie: „Warum ist es nachts dunkel?“ locken die Laienscharen immer wieder an; Vornholz, hinter seinem Schaltpult verborgen, läßt ihnen wie ein gütiger Gott die Sterne und Planeten in erhabenen Bahnen am Gewölbe erscheinen. Das Interesse an Astronomie sei ungebrochen, sagt der Leiter des Planetariums. Aber um das Wissen sei es schon mal besser bestellt gewesen.

Denn auch das allgemeine Interesse folgt den Bahnen der Kometen. Wenn Shoemaker-Levy auf dem Jupiter einschlägt und die Illustrierten pittoreske Farbbilder vom Aufprall drucken – dann ist die Bremer Hütte voll. „Spektakel“, sagt Vornholz. Über die Grundlagen der Astronomie wisse nänmlich kaum ein Kind, kaum ein Erwachsener wirklich Bescheid. „Oder können Sie mir einen Beweis dafür nennen, daß sich die Erde dreht?“ Je stärker sich die Fachwissenschaft auf Spezialprobleme zurückziehe, desto weniger wisse das gemeine Volk wirklich. „Das meiste wird einfach geglaubt – wir glauben heute nur noch, daß sich die Erde dreht.“

Aber da sei die ehrenwerte Olbers-Gesellschaft vor. Um der Volksbildung Willen schreckt Vornholz sogar vor Showeffekten nicht zurück: Im geplanten Bremer „Space-Park“ sähe er gern ein größeres Planetarium, die Verhandlungen laufen bereits, und „da könnte es auch Musik, Literatur und Ballett unterm Sternenhimmel geben“. Und nebenbei ein paar Erkenntnisse über Orion und seine Verwandten. Thomas Wolff

Zur Zeit läuft eine Ausstellung über die Geschichte der Olbers-Gesellschaft sowie über „Sonnenuhren in Bremen“, zu sehen in der Sparkasse am Brill. Zum 75. Geburtstag ist außerdem das Buch „Sterne, Mond, Kometen“ (Hg. Peter H. Richter) im Hauschild-Verlag erschienen.