: Selbstmordversuch im Flugzeug
■ Algerier sollte abgeschoben werden, weil die Behörde nicht auf Heiratsurkunde warten wollte
Die Folgen der deutschen Asylpolitik sind manchmal blutig. Als der 25jährige, abgelehnte Asylbewerber Abdelouahab H. gestern morgen via Amsterdam nach Algerien abgeschoben werden sollte, zog der junge Mann die Rasierklinge. Im halbvoll besetzten City-Hopper, kurz vor der Landung in Amsterdam, zerschnitt er sich Hals und Handgelenke. Der Flieger kehrte um. Zufällig sei eine Ärztin an Bord gewesen, lautet die Auskunft der Pressesprecherin der KLM-Fluglinie. „Ein schreckliches Ereignis. Der arme Mann.“
Dieter Trappmann, der Leiter der Bremer Ausländerbehörde, zeigte sich über den Vorfall weniger bestürzt: „Der Mann zog im Flugzeug die Notbremse“, sagt er. Nach seiner Rückkehr in Bremen sei H. im Krankenhaus behandelt, und dann auf die Krankenstation in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen verlegt worden. Daß Abdelouahab H. in Deutschland heiraten wollte, war Trappmann bekannt. Aber: „Verlobte werden schnell gewechselt.“ Sowieso hätte der Mann ja nach einer Eheschließung ausreisen müssen. Doch die habe nach Behördenkenntnis gar nicht „unmittelbar bevorgestanden“.
Martina R. treibt diese Behördensicht schon länger zur Verzweiflung. Sie hat Abdelouahab H. bereits im September nach islamischen Brauch geheiratet. Um die Papiere für die standesamtliche Trauung zu bekommen, telefoniert sie seit Monaten nach Algerien. Doch als die junge Bremerin im Oktober endlich alle Papiere zusammen hatte, um das Aufgebot zu bestellen, entdeckte das Bremer Standesamt ein Versehen der algerischen Behörden: Auf dem wichtigsten Dokument, entsprechend dem deutschen Ehefähigkeitszeugnis, fehlte der Eintrag über den Ehestand. Martina R. bekam die Papiere zurück. Für sie begann ein Wettlauf mit der Zeit. Denn ihr Freund, dessen Asylgesuch das Bundesamt im August abgelehnt hatte, saß unterdessen in Abschiebehaft.
„Wir hatten keine Ahnung, daß das passieren könnte“, sagt Martina R. Sie wurde von der Festnahme des Partners auf der Ausländerbehörde überrascht. „Mein Mann wollte dort nur seine Aufenthaltsgestattung verlängern“. Bei einem Sondertermin sei er dann festgenommen worden. „Er hatte schon kein gutes Gefühl, dahinzugehen“, berichtet Martina R. „Und er hatte recht.“ Fünf Wochen lang, gerade so lange wie man für die Beschaffung eines Paßersatzes braucht, war ihr Partner in Abschiebehaft verschwunden, bis er gestern früh zum Flughafen gebracht wurde. Der gleichzeitige Protest von rund 40 VertreterInnen verschiedener Flüchtlingsgruppen gegen die Abschiebung blieb dort erfolglos. Der Wettlauf mit dem deutschen Amtsschimmel schien verloren. Da griff Abdelouahab H. zur Rasierklinge.
Als Martina R. am gestern mittag durchs Radio davon erfuhr, erschrak sie. Noch am Morgen hatte sie die Abschiebung des Freundes von der Flughafentribüne aus mitansehen müssen.
Am Nachmittag verzweifelte sie fast, als man ihr den Zutritt zur Oslebshauser Krankenstation verweigern wollte. „Ich habe das Gefühl, ich laufe ständig gegen eine Wand“, sagt die junge Frau. „Überall Paragrafen. Und mit denen kenne ich mich nicht aus.“ Deshalb habe sie nicht rechtzeitig erfahren, daß sie trotz Abschiebehaft das Aufgebot bestellen könne. In der kommenden Woche erwartet sie das korrigierte Ehefähigkeitspapier aus ihre Heimat. „Wegen der Wahlen in Algerien hatte H.'s Familie Angst, nach Tunis oder Algier zu fahren. Aber nur dort kann man das Dokument per Expreßdienst aufgeben.“
Die Verunsicherung der jungen Frau und die algerischen Verhältnisse munitionieren unterdessen die deutschen Behörden: Der Algerier habe ja noch immer nicht das Aufgebot bestellt, sagt Stefan Luft, der Sprecher der Innenbehörde. „Das Ausländeramt hat nach geltendem Recht gehandelt.“
Eva Rhode
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