Nachschlag

■ Helmut Kraussers „Lederfresse“ im Freien Schauspiel

Heike Steinweg und Guido Schmitt Foto: Thomas Aurin

Eine Kettensäge ist eine schöne Metapher. Monströs, martialisch, phallisch in ihrer Erscheinung und problemlos dehnbar in der Deutung. Die Kettensäge: Ein Fetisch für den Möchtegern- Schriftsteller, der sein Versagen im Wahn vergessen kann. Mal ist ihm die Säge ihm Penis-Ersatz, mal ein heiliges Schwert im Kampf gegen das Böse, das draußen lauert. Doch das Böse ist in uns und besonders suspekt ist der Durchschnittsmensch. Was wir längst wissen, das muß die namenlose „Sie“ (Heike Steinweg) erkennen, als sie, eben mal wieder als Kellnerin gefeuert, überraschend früh nach Hause kommt. Ihr Liebster (Guido Schmitt) steckt im Schrank, eine Ledermaske auf dem Kopf und eine blutverschmierte Metzgerschürze umgebunden. Er hat „ein bißchen gespielt“, sagt er. „Lederfresse“ gespielt. Den Mörder des „Texas Chainsaw Massacre“. Das ist sein Lieblingsfilm, der ihm die Realität erklärt und ihn Held sein läßt. Wrooom, wroom, wrooom, mit der Säge im Zimmer vor dem Video, so kämpft er allein gegen die Welt und den Nachbarn, der gegen die Wand trommelt.

Auf der kleinen Bühne des Freien Schauspiels ist bereits die physische Präsenz der nach Benzin stinkenden Kettensäge ein Vexierspiegel für die häßliche Großstadt. Nach „Casa Matriz“ von Diana Raznovich zeigt Regisseur Ulrich Michael Heissig nun den zweiten Teil seines „Großstadt-Neurosen“-Projekts: „Lederfresse“, ein letztes Jahr in Hamburg uraufgeführtes Stück des 31jährigen Münchners Helmut Krausser. Solche kulturpessimistischen Fast-food-Machwerke sind gerade en vogue: Mord, Massaker und Gemetzel, die auch irgendwas mit der Generation X zu tun haben wollen. Der Ausdruck eines Zeitgefühls gerät zum Stereotyp, das Spiel der Darsteller rauscht vorbei. Und am Ende findet es kein Ende. Lederfresses Monolog dauert an, als wir mit seiner Fäkalsprache schon längst vertraut sind und seinen Wahn kennen, in den er auch seine Freundin reinzieht. Mit der Säge hält er sie in Schach und will sie doch nur beschützen. Als die Polizei die Wohnung umzingelt, um die vermeintliche Geisel zu befreien, versöhnt sich das Paar. Doch es ist zu spät.

Auf überdurchschnittlichem Off-Niveau bewegen sich die Darsteller und zeigen doch nur ein glattes Konstrukt. Vor allem Steinweg als versoffene Kellnerin darf nur schreien oder Prinzessin spielen. Die Risse und Zwischentöne vergißt sie. Warum auch sie schließlich dem Wahn verfällt, bleibt unklar. Heissigs Inszenierung fährt volle Power – mit Sicherheitsgurt. Petra Brändle

Do–So, 20 Uhr, Freies Schauspiel, Pflügerstraße 3, Neukölln