Von der Zone zur schönen, heilen Einkaufswelt

■ Nach der Wende ging der Trend zur urban inszenierten Konsumwelt der „Piazzas“ und „Centers“. Am Potsdamer Platz plant Daimler nun erstmals eine glasüberdachte Straße

Fußgängerzonen im klassischen Sinne sind out. Ihre Inszenierung dagegen steht für Planer und Verkaufsstrategen weiter auf dem Programm. Statt betonierter Einkaufsschluchten, die im urbanen Raum wie seelenlose Fremdkörper erscheinen, setzt man seit den achtziger Jahren immer deutlicher auf bühnenreife Ladenstraßen, Einkaufszentren- und -parks, Shopping-Malls oder postmoderne Passagen, die Einkaufen in der Stadt vorspielen.

Das Prinzip ist einfach: In einem weitläufigen Gebäude werden eine Vielzahl von Einzelhandelsgeschäften, Cafés oder Restaurants angesiedelt, die aufgereiht an einer Einkaufsstraße oder übereinandergestapelt in Geschossen liegen. „Die ursprüngliche Idee in den siebziger Jahren war“, erinnert sich Michael Ruland, Geschäftsführer der Forum Steglitz KG, „unter einem Dach alle klassischen Einzelhändler zu versammeln.“

Im Forum Steglitz, dem ersten Shopping-Center Deutschlands, das 1970 auf 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche eröffnete, legten die Planer allerdings noch Wert auf sachlichen Charme und Warenvielfalt. Statt sich ähnelnder Klamottenläden, beherbergt das Forum Steglitz bis dato eine Markthalle. Einen Friseur gibt es ebenso wie den Schuhmacher. Daß sich aber auch das „Shopping-Center mitten in der Stadt“ die Inszenierungen von Bauten und Waren nicht vom Leibe hält, sieht der Besucher an den Anstrengungen, die Läden unterschiedlich aufzumachen oder den Würstchenstand im ersten Obergeschoß zur Bier- und Cocktailbar umzugestalten.

Bei den neueren und neuesten Berliner Shoppingwelten geht der Trend zum urban inszenierten Verkaufstempel. Die Läden in den großen „Stadtteilzentren“ haben eigens gestaltete Schaufenster für die Corporate Identity. Auf dem Platz (oft Piazza genannt), in der Mitte der Malls und Passagen finden sich gastronomische Einrichtungen und manchmal ein paar Sitzbänke unter künstlichen Bäumchen neben kleinen Bächlein. Aus dem städtischen Raum werden noch andere Accessoires entlehnt wie Vordächer, differenzierte Hauswände und Eingänge, popartig aufgemachte Deco-Säulen und Sonnenschirmchen für die Eisdiele. Im Untergeschoß oder auf der Galerie wiederholt sich die Szenerie für den Einkauf als Spiel- und Spaßkulisse.Investoren setzen diese Einkaufszentren an die Knotenpunkten der U- und S-Bahnen oder nahe an große Stadtplätze, fungieren sie doch dort als Schluckeinrichtungen für Kaufsüchtige und Kaufbedürftige gleichermaßen. Im Einkaufsbauch fühlt sich jeder wohl. „Der überdachte Innenraum, in dem man bei jedem Wetter die Jacke ausziehen kann, soll den Kunden signalisieren, daß sie sich hier lange aufhalten können“, sagt ECE-Projektmanager Uwe Mietzner vom Linden-Center in Hohenschönhausen. Natürlich beinhalte dieses Konzept, daß, wer länger einkaufe, den Umsatz steigere.

Das kürzlich eröffnete 18.000 Quadratmeter großen Superkaufhaus mit 85 Geschäften in drei Ladenstraßen für 80.000 Kaufwütige funktioniert wie eine Bilderbuch- Einkaufswelt, an der lauter bunte Geschäfte liegen. Am Ende thronen Kaufhäuser oder Hamburger- Zentralen. „Die Anziehung der Kunden läuft über die großen Namen, daran hängen sich die anderen an“, erklärt Mietzner das Konzept, das freilich immer mehr die großen Filialisten ernährt. Einen Friseur sucht man dort vergeblich – „bunt gefärbte Monostruktur“, nannte der Soziologe Paul Gleye die Einkaufswelten, die der heutigen Zeit entsprächen.

Weil in den Shopping-Centers Wachdienste patrouillieren und zeigen, daß im Binnenraum der „Einkaufsstadt“ nur Umsatz und Käufer gern gesehen sind, hat dies den Passagen den Ruf der schnöden Sauberwelt eingebracht. Das Wort Urbanität, von den Center- Managern gern in den Mund genommen, zählt hier nichts. Daß ausgerechnet die Daimler Benz- Tochter debis die abgeschlossene und ausschließende Shoppingwelt am Potsdamer Platz wieder zugunsten des öffentlichen Einkaufsraums, der Fußgängerstraße, der Mall aufbrechen will, klingt vielleicht grotesk – aber wahrscheinlich rechnet man dort nicht einmal mehr mit Schmuddelkindern. „Wir planen eine zum Teil glasüberdachte Einkaufsstraße“, sagt debis-Sprecher Maier-Schickerath, „an der im Erdgeschoß Läden sowie Gastronomien und darüber Büros, Wohnungen oder andere Einrichtungen liegen.“ Die Einzelhandelsfläche werde bei rund 40.000 Quadratmeter liegen. Die schöne neue Einkaufswelt funktioniere zwar wie eine Passage, „ist aber öffentlich und jederzeit zugänglich“. Rolf Lautenschläger