Unternehmen Zuglärm

■ Bahn AG plant eine ICE-Trasse mitten durch ein Lichterfelder Wohngebiet weitgehend ohne Maßnahmen zum Schallschutz. Juristischer Trick: kein Neubau, sondern Wiedereröffnung der Strecke

Tagsüber alle 21/2 Minuten und nachts im 61/2-Minuten-Takt Züge, die am Fenster vorbeidonnern. Das ist die Aussicht, die das „Unternehmen Zukunft“, die Deutsche Bahn AG, rund 20.000 LichterfelderInnen bescheren möchte, die entlang der derzeit stillgelegten Anhalter-Bahn wohnen. Denn die Bahn will die Strecke vom Bahnhof Papestraße über Leipzig/Halle nach Frankfurt a. M. und München für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausbauen – und zwar weitgehend ohne Lärmschutz. Nur auf etwa 200 Metern im Bauabschnitt Lichterfelde Süd von insgesamt drei Kilometern sei die Errichtung von Lärmschutzwänden vorgesehen, hat Klaus Martil von der „Umweltschutzinitiative Lichterfelde Süd“ (ULS) den öffentlich ausgelegten Planungsunterlagen entnommen. Der juristische Trick dabei: Für die Bahn handelt es sich lediglich um die Wiederinbetriebnahme bestehender Gleisanlagen. Lärmschutzmaßnahmen, wie sie bei Neubaustrecken vorgeschrieben sind, seien deshalb unnötig. Der Bezirk Steglitz und die ULS erwägen nun, vor Gericht Lärmschutz zu erstreiten.

Geplant sind zwei Gleise für den S-Bahn-Verkehr von Lichterfelde-Ost über Lichterfelde-Süd nach Teltow sowie zwei Gleise für den Regional- und Fernbahnverkehr auf einer bis zu sechs Meter hoch gelegenen Trasse. Tag und Nacht sollen ICEs, Interregios, S-Bahnen und Güterzüge rollen, die von der Bahn AG errechnete Lärmbelastung wird bis zu 16 dB (A) höher liegen, als die vorgeschriebenen Grenzwerte für Neubaustrecken. „Das entspricht einer Verdreifachung des Lärms“, kritisiert Udo Bensel (Bündnis 90 / Die Grünen), Bezirksumweltstadtrat.

Bis in den Petitionsausschuß des Bundestages hat die ULS ihr Anliegen getragen. Im April 1994 schrieb Bundesverkehrsminister Wissmann an den Vorstand der Bahn, auf der gesamten neuen Nord-Süd-Verbindung seien die Maßstäbe des Lärmschutzes anzulegen. Dort, wo die zulässigen Grenzwerte überschritten würden, seien Lärmschutzmaßnahmen einzuplanen. Doch alles ohne Erfolg: Die Bahn AG bleibt weiter stur. Eine Sprecherin der Bahn verwies auf das laufende Planfeststellungsverfahren: Man habe die Unterlagen eingereicht, entscheiden müsse jetzt das Eisenbahn-Bundesamt. Nähere Angaben zu den Lärmschutzmaßnahmen konnte die Bahn nicht machen.

„Für uns ist es nicht akzeptabel, daß die Bahn hier mit juristischen Tricks operiert, um Lärmschutzmaßnahmen zu umgehen“, meint Bensel. Der Trick besteht darin, die weitgehende Demontage der Gleisanlagen zu ignorieren. Denn tatsächlich sind in den letzen 40 Jahren keinerlei Züge auf der Strecke gefahren, das Gebiet wurde statt dessen teilweise als Park benutzt. Lärmschutzmaßnahmen plant die Bahn AG nur in den Teilbereichen, wo die Streckenführung „wesentlich geändert“ wird, sprich: vom ehemaligen Gleisverlauf mehr als einen Meter abweicht. „Im Bauabschnitt Lichterfelde-Süd plant die Bahn nur eine einzige Schallschutzwand zwischen S-Bahnhof Lichterfelde-Ost und Müllerstraße“, sagt Klaus Matil von der ULS.

Der Bezirk Steglitz und die BI kritisieren die „rein formale“ Betrachtungsweise der Bahn AG. „Wir fordern einen wirksamen Schallschutz von der Müllerstraße bis zur Stadtgrenze“, sagt Matil. Die entsprechenden Pläne für eine „Einhausung“ der Trasse hat die ULS längst ausarbeiten lassen. Danach sollen parallel der Gleise Erdwälle aufgeschüttet werden, die dann quasi einen oberirdischen Tunnel ergeben. „Das ist auch nicht teurer als die derzeitigen Planungen der Bahn“, so Matil. Elke Gundel