Ein Brett macht Karriere

Von der schlichten Sperrholzplatte zum knalligen Graffiti-Design. Das Snowboard: verraten und verkauft als Sport durchgestylter Kids  ■ Von Detlev Vetten

Aufpassen! Die Typen lassen es weiter boomen. Die haben keinen Respekt vor der Tradition. Sie drängeln sich mit ihren Brettern in die Schlangen vor den Skiliften. Sie vergällen einem mit ihrem schrägen Outfit die Freude an der eigenen konventionellen Pistengarderobe. Sie sind laut und tun lustig. Und sie lassen einen normalen Skifahrer mit zwei Brettern an den klobigen Schuhen manchmal ganz schön alt aussehen. Vor allem beim Après und beim ganzen Drumherum.

Snowboarden ist in. Cyber-, hyper-, mega-in. Ein neuer Sport – Skifahren auf einem Ski – hat sich in einem knappen Jahrzehnt einen satten Marktanteil gebunkert. Die erstaunliche Mauser des Snowboardens ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie heute ein Trend entdeckt, gepuscht, von der Industrie vereinnahmt und wie die ursprüngliche Philosophie der neuen Sportart untergebuttert wird.

Die Missionare des Ein-Brett- Fahrens besehen staunend, was sie angerichtet haben. Das soll noch ihr Sport sein? Diese abertausend durchgestylten Kids, die sich im Schnee der In-Treffs wälzen, sollen eine Ahnung davon haben, was Snowboarden eigentlich war und sein sollte? Keinen Schimmer haben die!

Vor zehn Jahren noch sind Peter Bauer, Petra Müßig, Max Plötzeneder – drei der Pioniere, die den Sprung ins Profi-Busineß geschafft haben – wie die Rebellen in eine heile, weiße Welt eingebrochen. Sie haben sich ihre Bretter aus Sperrholzplatten selbst zurechtgeschnitten. Einer hat in Schliersee mal ein Einbahnstraßenschild abmontiert und zum Snowboard umfunktioniert. Es rutschte. Bauer stieg in die Bergschuhe, zog sich einen Parka über, klemmte sein „Phantom“ unter die Arme und bedachte die Welt mit dem Götz-Zitat. Oben am Berg auf seinem Brett hatte er Ruh' vor allem Spießigen. Plötzeneder kannte jeden Buckel in Tirol, außerdem wollte er nicht mehr so sein wie die anderen. Als er von Aufrührern wie Bauer hörte, versuchte er es halt auch mal. Es flutschte. Und die Leute ärgerten sich – was zusätzlich stimulierte. Petra Müßig suchte nach neuen Entfaltungsmöglichkeiten im Schnee. Immer diese blöde Pistenraserei hing ihr zum Hals raus. Da entdeckte sie, wie sich beim Snowboarden das Gefühl für den Berg und die Natur änderte, berauschte sich an dem „totalen Gleiten und dem Gefühl in den Füßen, wenn die Post abgeht“.

Die Liftbesitzer haben die Freaks mit ihren Brettern von den Trassen gescheucht. In den Wintersportorten hat man über sie milde gelächelt. Oder man hat sich aufgeregt über ihren Schlabberlook und ihre Wurschtigkeit. „Das war ein richtiger Generationenkonflikt, den wir damals ausgelebt haben“, erinnert sich Petra Müßig.

Ein bißchen Wehmut klingt da mit.

Denn sie und ihre Spezl sind eingeordnet. In den vergangenen zwei Jahren hat die Industrie den Trend Snowboard endgültig vereinnahmt. „Heute sind die Einflüsse der Wirtschaft leider ziemlich groß. Du mußt ein bestimmtes Outfit haben und ein bestimmtes neues Superbrett. Sonst gehörst du nicht dazu.“

Aus den Solo-Trips von ein paar Verrückten ist eine neue Variante der Lemming-Flucht in die Freizeit geworden. Dieser Tage steigen allerorten in den Alpendörfern die Openings – bei denen ganze Täler ein Wochenende lang beschallt und illuminiert werden. Die Tussis und Fuzzis werden in Tausendschaften zu Billigpreisen rangekarrt. Sie verstopfen Seilbahnen und kollern über die Hänge. Abends machen sie die große Sause. Technomäßig und so.

Irgendwie sehen sie alle gleich aus. Geklont, nur die Farbe variiert: Man trägt ein Schlupfblouson aus 100 Prozent Polyester und eine Hose mit Beschichtung an Knie und Gesäß (Polyester- und Baumwollgemisch). Das Ganze paßt irgendwie nicht, aber dafür sieht es schon vor dem ersten Tragen aus wie aus der Altkleidersammlung. Die Mütze hat einen lächerlich langen Zipfel. Schuhe der plumpen Art braucht's auch noch. Das Brett leuchtet bunt, ein Graffiti-Mensch hat das Design in der Mangel gehabt. Letzter Schrei in diesem Jahr sind die Stop-in-Bindungen (so ungefähr das einzige, was man den herkömmlichen Skifahrern abgeguckt hat). Fertig ist der Snowboarder, wie ihn sich die Industrie wünscht. Und um knapp zwei Mille ärmer.

Selbst der tranige Deutsche Skiverband hat begriffen, daß es bei den Snowboardern Geld zu verdienen gibt. Die Sponsoren reißen sich um die jungen Menschen mit der dynamischen, spontanen Ausstrahlung. Also hat der DSV nach anfänglichen Bedenken nun eine eigene Mannschaft in den Hochleistungssport geschickt. Die soll den Unangepaßten wie Peter Bauer den Rang ablaufen. Und schon haben wir auch in der heiteren Szenerie der Snowboarder die herrlichsten Intrigen und Machtkämpfe. Wie es aussieht, werden sich letzten Endes die beiden streitenden Parteien zu einem Kompromiß zusammenraufen müssen. Bauer und seine Pionierschar sind unbestritten die Besten der Zunft. Der Skiverband seinerseits hat die Macht, Snowboarden bei den Spielen im japanischen Nagano zur olympischen Disziplin zu machen...

Es ist nichts mehr zu ändern. Die Tage fröhlicher Urständ sind vorbei. Snowboarden – wie es einst war – ist verraten und verkauft. Man gehört mit weltweit einer halben Million pro Jahr verscherbelten Brettern jetzt zum Establishment.

Aber Vorsicht: Die neue Welle rollt schon. Das Imperium der Skihersteller schlägt zurück. Die locken nämlich jetzt mit einem bislang ungekannten Fahr-Feeling. Ein bißchen wie beim Snowboarden – nur noch besser. Schuld sind angeblich die obercoolen Skier der neuen Generation. „Cyber“-mäßig seien die, heißt es in der Werbung. Und außerdem haben sie – wie Snowboards auch – diese geilen Kurven: in der Mitte tailliert, oben und unten rundet sich die Sache. Muß man einfach haben: 75-65-75 – das sind die Maße, die verzücken.