Klarer Fall von Schadensersatz

■ Art Cologne: Gerade mal zwei Minuten Zeit pro Kunst

Sie wächst und wächst und wächst. Mit 349 Galerien aus 22 Ländern, die mehr als 2.700 Künstlerinnen und Künstler vertreten, ist die Art Cologne in diesem Jahr an ihre „räumlichen Grenzen“ gestoßen. Das jedenfalls glaubt Gerhard F. Reinz, Vorsitzender des in Köln beheimateten Bundesverbandes Deutscher Galerien und damit verantwortlich für die Organisation der nach wie vor bedeutendsten Kunstmesse im Lande. Mal sehen, was Reinz im nächsten Jahr sagt, wenn wieder einmal alte Rekorde gebrochen werden.

Falls er dann überhaupt noch etwas sagt. Rechtzeitig zur Eröffnung der Messe meldete sich Rudolf Zwirner zu Wort und kritisierte Reinz' Politik des Höher- Schneller-Weiter aufs heftigste. Es sei an der Zeit, „über Alternativen nachzudenken“, drohte der Ex- Galerist, der vor 29 Jahren den Kunstmarkt mitbegründete. Zwei Tage später saß er am Stand der Bonner Bundeskunsthalle, schmollte düster vor sich hin und wartete auf Zuhörer.

Mehr Zahlen: Angenommen, man gibt sich das volle Programm und macht aus dem Besuch der Art Cologne einen Achtstundentag. Selbst dann bleiben für jede der 349 Galerien exakt 1 3/8 Minuten Aufmerksamkeit, Pausen nicht eingerechnet. Aber: darum geht es eigentlich gar nicht. Kaufen sollen die Leute, nicht bloß angrabschen.

Wer das Phänomen Art Cologne verstehen will, muß aus dem Zentrum heraus und in die Peripherie hinein. Der labberige Filterkaffee mit Sahnehäubchen, der sich in betrügerischer Absicht Cappuccino nennt, kostet 5,10 Mark. Vergleichsweise günstig dagegen der Becher Mineralwasser: 4,90 Mark. Die halbe Semmel mit Billig-Brie kommt auf siebenfuffzig. Traurige Gesichter bei den Abgesandten der Kunstzeitschriften, die die Messeleitung in den zugigen Eingangsbereich verlegt hat.

Minimalkonsens herrscht auch bei der Gestaltung der einzelnen Kojen. Grauer Industrieteppich und Rauhfaser an den Stellwänden. Nach spätestens zwei Stunden hat Kleingepunktetes keine Chance mehr. Das einzig wirklich Erstaunliche an der Messe-Ästhetik ist, was die verschiedenen Kunstversicherungen daraus machen. Sie schaffen es auch unter widrigsten Umständen, sich genauso zu präsentieren, wie man es von einer Versicherung erwartet.

Anders ist das nur in Halle 5. Dort haben sich junge und hungrige Galerien niedergelassen, die sich mit ihren Kojen entsprechend Mühe geben. Am Stand von Lukas und Hoffmann aus Köln baute die Berliner Künstlerin Sabine Hornig eine ihrer paradoxen Architekturen – und Galerist Markus Schneider nutzt den entstandenen Hohlraum als Lager. Problematischer die Aktion der Galerie ars futura aus Zürich – die Förderkoje des Trios Hodel, Schuhmacher, Clavadetscher ziert eine in den Teppichboden geschnittene Schlange. Ein klarer Fall von Schadensersatz. Doch auch in Halle 5 sind die Kojen meistens eben Kojen.

Eine Ausnahme von der Regel hat sich die Berliner Galerie Franck + Schulte geleistet. Sie ordnete ihre Stellwände zu einem komplizierten, verwinkelten Labyrinth, leider ist das Ganze ein bißchen unübersichtlich. Im vorigen Jahr bezahlte Thomas Schulte seinen Formwillen mit dem galerieeigenen Computer, den ein Gast vom Schreibtisch stahl.

Gelb und Blau, die Farben der Liberalen, dominieren die Koje der ebenfalls in Berlin ansässigen Galerie Zwinger. Deren islandophilen Hauskünstler Wolfgang Müller treibt neben der Sorge um den heimischen Blaumeisenbestand der Kummer über den Zustand der FDP. Ab und zu schauen auch Parteigänger herein und kaufen ein Wahlplakat, auf dem das Konterfei des Wirtschaftsministers Rexrodt mit Meisen bedruckt wurde. Sind so kleine Tiere. Ulrich Clewing

Bis 19.11. in den Messehallen Köln