Das neue Feindbild heißt Lafontaine

Auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr macht Rühe Front gegen den neuen SPD-Vorsitzenden. Er erwartet eine schnelle Entscheidung über den deutschen Bosnien-Einsatz  ■ Aus München Wolfgang Gast

Oskar Lafontaine, der neue Parteichef der Sozialdemokraten, ist für den Bonner Verteidigungsminister Volker Rühe „sicherheitspolitisch bisher ein Hasardeur“. Der Verteidigungsminister nahm gestern am Ende der 35. Kommandeurstagung in München Lafontaines Antrag aufs Korn, seine Partei möge sich einem möglichen Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen in Ex-Jugoslawien verweigern. Für die angestrebte Friedenslösung in Bosnien und den geplanten Einsatz der Bundeswehr bei einer internationalen Friedenstruppe sieht Rühe mittlerweile einen „breiten, breiten Konsens in der Bevölkerung“. Boshaft merkte der CDU-Mann in seiner Rede vor den rund 500 Kommandeuren an, dieser Tasache sollten sich auch Parteivorsitzende nicht verschließen. Er warnte die SPD vor einem außen- und sicherheitspolitischen Kurswechsel, der nur in einer „Sackgasse“ enden könne.

Die Entscheidung zum Einsatz der Tornados in Ex-Jugolslawien nannte Rühe einen „Wendepunkt“ in der Bonner Politik. Diese „Vernunft“ gehe auch tief in das Herz der SPD hinein. Er wolle deshalb erst einmal abwarten, ob die SPD jetzt unter ihrem neuen Chef ihre frisch gewonnenen Einsichten über Bord werfe.

Die endgültige Entscheidung für den Einsatz der rund 4.000 Soldaten, die die Bundsregierung den Vereinten Nationen in Aussicht stellte, kann nach Rühes Worten schon sehr schnell fallen. Er erwarte bei den Bosnien-Verhandlungen im amerikanischen Dayton noch bis zum Sonntag eine Entscheidung. Dort werde derzeit zwischen den Verhandlungsparteien in einer „dramatischen Endphase“ über „die Alternative Krieg oder Frieden“ verhandelt. Trotz zahlreicher Widrigkeiten rechnet Rühe mit einem positiven Verhandlungsergebnis. Er geht davon aus, daß noch im Dezember in Paris ein Friedenvertrag unterzeichnet werden könne.

Der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina und die damit einhergehenden neuen militärischen Aufgaben waren eines der zentralen Themen der dreitägigen Veranstaltung der Bundeswehrkommandeure. Im nichtöffentlichen Teil der Tagung befaßten sich die Militärs am Donnerstag mit der Bildung der „Krisenreaktionskräfte“, mit dem Nachwuchsmangel bei Zeitsoldaten, mit notwendigen Einsparungen und nicht zuletzt mit Fragen der militärischen Ausrüstung.

Mit der Reform der Bundeswehr werden Rühe zufolge „wir die vordringlichen Fähigkeiten der Streitkräfte zur Krisenreaktion in den neuen Strukturen schritt- und paketweise bis zum Jahr 2000 aufbauen“. An erster Stelle stehe die persönliche Ausrüstung der Soldaten und „der Ersatz der antiquierten Führungsmittel und was sonst gebraucht wird, um die Truppe wohlgerüstet in Kriseneinsätz zu schicken“.

Der Generalstabschef der US- amerikanischen Streitkräfte, General Shalikashvili, warnte gestern als Ehrengast davor, die Nato künftig nur als eine auf zwei Pfeilern gestützte Allianz, mit einem europäischen und einem amerikanischen Bein, zu begreifen. Ein solches Modell berge die Gefahr eines Rückzuges der Vereinigten Staaten aus Europa in sich: „Getrennt sein ist der erste Schritt zur Scheidung.“ Auch nach dem Abzug von zwei Dritteln der früher in der Bundesrepublik stationierten US-Eineiten komme den deutsch- amerikanischen Beziehungen eine besondere Bedeutung zu. Shalikashvili unterstützte das Anliegen der Bundesregierung, im Sicherheitrat der Vereinten Nationen einen Sitz zu erhalten. Er hieß die Bundesrepubkik willkommen, international „eine größere Rolle zu spielen“.

Wie Volker Rühe sah auch der Generalstabschef „drei Herausforderungen auf die Nato zukommen“. Zum einen die Zukunft der Allianz, und damit einhergehend ihre Öffnung für die Staaten Osteuropas wie Tschechien, Polen oder Ungarn.

Der Generalstabschef warnte jedoch vor überzogenen Zeitvorstellungen. Es sei „nicht möglich, eine Decke über ganz Osteuropa zu werfen“. Der Prozeß müsse in Form einer „stufenweisen Evolution“ erfolgen, und dies sei nicht „auf kurze Sicht zu sehen“.

Darüber hinaus müsse die Nato besondere Beziehungen zur russischen Föderation entwickeln. Rühe erklärte in diesem Zusammenhang, Rußland möge berücksichtigen, daß sich die Allianz nach dem Fall der Mauer zu einer „neuen Nato“ entwickelt habe. Allein schon die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in diesem Bündnis „entfaltet stabilisierende Wirkung bei unseren Nachbarn im Osten“.