Vorschlag

■ Ein Abend leerer Worte: Heiner Müllers „Philoktet“ im BE

Wann immer es Nacht wird über deutschen Bühnen und der letzte Funke Humor mit dem Licht im Zuschauerraum erlischt, dann weiß der vielgeprüfte Theaterfreund, es steht mal wieder die Inszenierung eines Heiner-Müller-Stücks auf dem Programm. Zwar tritt im „Philoktet“, um den es diesmal ging, gleich zu Anfang ein Clown auf. Doch in den sechziger Jahren, als dieses Stück entstand, da war dieser Clown eine bitterernste Angelegenheit. Deshalb reißt der Clown sich seine Maske auch sofort wieder ab und steht mit Totenschädel vor dem Publikum. „Sie haben nichts zu lachen“, sagt er. Und das ist leider wahr.

Die Botschaft, daß Politik verlogen ist, Krieg als ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln amoralisch und Sprache von der Macht korrumpiert – die ist inzwischen wirklich angekommen. Josef Szeilers Inszenierung des „Philoktet“, die am Freitag am Berliner Ensemble Premiere hatte, raunte nur bedeutungsvoll. Sonst ließ sie Stück und Zuschauer im Dunkeln. Das Lehrstück als Leertheater, in einer kargen Szenerie und nur ab und zu spärlich beleuchtet. Da sah man dann bewegungslose Gestalten fast betonungslos Müllers verstaubte Texte sprechen. Fritz Marquart zeigte einen gebrechlichen Philoktet, in Jeans und mit bloßem Oberkörper, meist liegend über seinen Text gebeugt. Nino Sandow sah als Odysseus aus, als sei er vom aktuellen H&M-Plakat auf die Bühne des BE gestiegen – allerdings ohne Boxershorts. Und auch sein Kompagnon Neoptolemos alias Uwe Preuß stand splitternackt im Bühnenraum. Wieso man für so wenig Kostüm gleich zwei Kostümbildner braucht, die das Programmheft nennt, blieb das Geheimnis der Inszenatoren.

„Wenn die Diskotheken verlassen und die Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört werden, das der Grund seiner Sprache ist“ – dies Müller-Wort dient der Aufführung als Motto. Nach der Premiere darf man allerdings befürchten, daß auch die letzten Theater noch in Diskotheken umgewandelt werden, wenn das Theater nicht aufhört, seine Zuschauer so gnadenlos zu langweilen. Wer glaubt, daß er bloß bedeutungsvoll zu schweigen braucht, wenn er nichts zu sagen hat, der irrt. Esther Slevogt

„Philoktekt“, 20., 24.11., 19.30 Uhr, BE, Bertolt-Brecht-Platz 1.