„Einen Jahn stelle ich nicht aus“

Gesichter der Großstadt: Kristin Feireiss, Betreiberin der Architekturgalerie Aedes, wird Direktorin des Rotterdamer Architekturinstituts. Ihre beiden Galerien will sie weiterführen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Kaum war die Entscheidung der Auswahlkommission gefallen, Kristin Feireiss als neue Direktorin des niederländischen Architekturinstituts in Rotterdam zu berufen, packte diese erst einmal ihre Koffer und ging auf Reisen. Wohin sie fuhr, wollte man nicht sagen. Daß es keine Erholungsreise, sondern eine Arbeitstour sein wird, auf der ein paar Architekten ihren Weg für die nächste Ausstellung kreuzen, ist mehr als wahrscheinlich. Und all jenen, die den Schock des Transfers von Berlin nach Rotterdam noch nicht verdaut haben, ließ Feireiss ausrichten, daß sie an eine Weiterführung ihrer Galerien Aedes am Savignyplatz und der Dependance Aedes-East in den Hackeschen Höfen denke.

Der Tanz auf vielen Hochzeiten gehört zu den Wesenszügen der 52 Jahre alten Galeristin. In den vergangenen Jahren war sie außer Galeristin noch Lektorin, Ausstellungsmacherin, Publizistin, Moderatorin und Lobbyistin sowohl für Investoren der Betonindustrie als auch für unliebsame Architekten oder Studentengruppen. Das ging nicht immer gradlinig vonstatten. Brüche waren inbegriffen. So kündigte sie vor zwei Jahren einen Job im Verlag Ernst und Sohn oder trennte sich 1994 vom Wiener Aedes-Appendix Maculan, weil sie ihre Konzepte nicht „frei“ durchbringen konnte.

Daß sie im April der Weg nach Rotterdam führen wird, als Leiterin eines Museums mit 60 Mitarbeitern und dem größten Architekturarchivs in Europa, kommentiert sie schon fast lapidar: Das sei zwar eine ungeheure Herausforderung mit großem Reiz, „aber ich hätte mich nicht beworben, wenn mich die neue Arbeit nicht interessieren würde“.

Der Reiz des Neuen war auch der Ausgangspunkt, die kleine Architekturgalerie Aedes in der Grolmannstraße vor 15 Jahren zu gründen. Feireiss, die Journalistin und „Nichtarchitektin“ sowie ihre Freundin Helga Retzer – damals noch im Internationalen Design Zentrum (IDZ) beschäftigt – waren vom IBA-Fieber angesteckt worden.

„Es gab keinen Ort in Berlin, an dem regelmäßig über Architektur diskutiert worden wäre. Wenn es Ausstellungen gab, wurde Architektur abgehoben präsentiert. Aedes entstand gewissermaßen aus dem Ärger über schlechte Ausstellungen und der Vorstellung, daß man es besser machen kann und daß das Publikum etwas davon hat.“

Daß Feireiss „keine Richtung, sondern ein breites Spektrum von modernen baulichen Konzepten“ zeigen will, sieht man bei Aedes. Museale Stücke fehlen im Programm. Kommerzarchitekten haben es schwer, ihre Entwürfe, Skizzen oder Objekte zu zeigen. Glaubenssätze sucht man vergebens. Das Konzept ist – Ausnahmen eingeschlossen – Stars neben Studenten, die bauliche Avantgarde neben dem Alltäglichen auszustellen. Die Shows sind nie groß: ein Projekt, vier, fünf neue Pläne und Originalzeichnungen, dazu den quadratischen Aedes-Katalog mit dem ewig gleichen Layout.

Das ist trotzdem fast immer neu, manchmal chaotisch, selten langweilig: die Bauwelt als Prozeß und Experiment. Feireiss ist stolz auf ihren „Riecher“. Nach ersten Architekturprojekten der Nach- und Postmoderne, etwa von Peter und Alison Smithson, Aldo Rossi oder Robert Venturi, „die damals alle kein Erfolg bei Aedes waren“, kam in den achtziger Jahren der Durchbruch: „Dazu zähle ich die Dekonstruktivisten, die ich schon fünf, ja sieben Jahre vor der New Yorker Schau ausgestellt habe. Es waren nicht nur dieselben Namen wie Rem Koolhaas, Peter Eisenman, Frank Gehry oder Zaha Hadid dann in New York zu sehen, sondern exakt die gleichen Projekte.“

Feireiss ist sich darüber im klaren, daß es schwer ist, ständig neue wegweisende Richtungen und aktuelle Themen auszuloten. Die High-Tech-Baumeister Richard Rogers, Jean Nouvelle oder Norman Foster etwa hielten recht spät Einzug in die Galerie, die seit dem Umzug unter die S-Bahnbögen ihr Konzept erweitert hat und „schicker“ gemacht wurde. Kaum ein renommierter Architekt hat nicht Hof in der international bekannten Adresse gehalten. Dennoch fällt auf, daß Großbüros oder bloße Investorenarchitekten fehlen.

„Einen Helmut Jahn würde ich nie ausstellen“, sagt Feireiss. Aber ähnliche hat sie ausgestellt. Dazwischen schiebt sie unbekannte Bauprojekte, Diplomarbeiten, macht Workshops und stellt skulpturale Entwürfe, Konzepte oder Bauvisionen von Architekten aus, wie gerade die von Lehman, Riccius, Sterf mit „Hülle/Schwere/Licht“. Weit über hundert Ausstellungen sind in den Jahren zusammengekommen. Das geht oftmals so schnell und unübersichtlich, daß Kritiker vom Ausstellungsfließband Aedes gesprochen haben.

Während in diesem Jahr mit Aedes-East weitere Räume in den Hackeschen Höfen dazukamen, hat sich das „Modell Aedes“ nicht verändert. „Da ich keine Subventionen für meine Projekte erhalte, suche ich Sponsoren für die Ausstellungen und verkaufe die Kataloge.“

Diese „Freiheit“ hat Feireiss immer auf Distanz zum Senat gehalten – und zu dessen Baupolitik. Die Unabhängigkeit ihrer Arbeit war mit ein Grund, daß sie jüngst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, ein anderer, daß sie auf tausend Hochzeiten zu tanzen vermag.