piwik no script img

Die feine Koloratur des Arztwitzes

■ Vietnam goes Wagners Ring: Tran Anh Hungs preiseabräumender Film "Cyclo" ist eine Kopfgeburt

Mitten ins Raunen über das neue Kino im Fernen Osten ein Film aus Vietnam, der aufräumt bis zum letzten Vorhang, und wenn er gefallen ist, nochmals aufräumt. Vater! Die Chefin! Das Feuer! Das Blut!

Es fällt auf, daß die Erzählung um den Rikschafahrer etwas gemächlich anfängt. Daß die Szenen im Haus sich schnell erschöpfen und die Straßenszenen ebenfalls. Der Schnitt soll das Problem lösen, mit hin und her. Aber der Schnitt ist ungelenk und bleibt es.

Man wundert sich auch ein bißchen über die Figuren – Prolomilieu, unterste Armutsgrenze, aber das Haar immer gut geschnitten und immer gut rasiert. Zu adrett die Frauen an den Kochtöpfen, zuviel Schauspielerwürde bei Großvater, der angeblich sein Geld mit Reifenaufpumpen verdient. Irgendwann, sehr viel später in diesem langen, ganz furchtbar langen Film, gibt es eine Szene im Vorgarten einer Cocktailbar, und man spürt sofort: Jetzt fühlt sich der Regisseur zu Haus. Das ist übrigens auch der Zeitpunkt, zu dem die Regie anfängt, sich mit dem pokerfacehaften Luden zu identifizieren. Bis dahin waren die Protagonisten Pappkameraden einer Geschichte, die nicht abhebt. Nicht daß sie es dann täte, aber nun werden sie als Figuren einer Tragödie ausgegeben. Die Frauenfiguren sind ohnehin Staffage.

Roh kann man sich die Geschichte zusammenbasteln. Da ist der Cyclo, ein junger Mann. Er hilft, seine Familie durchzubringen, und das muß er auch, weil sein Vater gestorben ist. Dann wird ihm die Rikscha geraubt von einem Clan; dann will er auch in einen Clan. Der, den er findet, hat ihm aber die Rikscha geklaut; und in einem überraschenden Anfall von Logik knallt er irgendwann einem besseren Mafioso dieser Gruppe eine Latte über den Kopf. Das kann man verstehen. Was man nicht versteht, ist, warum der Clan den Jungen will, besonders, nachdem er denen einen Molotowcocktail ins Kontor geworfen hat. Zeitweilig geht der Junge auch von der Leinwand verloren, und es dreht sich statt dessen um einige Zuhälter und ihre Frauen und die perversen Freier (nee, nichts Schlimmes). Da wird die Kindheitsgeschichte eines Zuhälters aufgefahren und gleich vorgeführt: Papa verdrischt ihn, weil er Mutter unehrliches Geld zustecken wollte. Kein Wunder, daß er sich am letzten Tag des Jahres mitsamt seiner Wohnung niederbrennt, bevor das Jahr des Schweines beginnt. Denn eigentlich ist er schrecklich sensibel.

Zum Glück ist man nicht zum ersten Mal im Kino. Man versucht sich ja gutwillig einen Reim zu machen. Das ständige Wassertropfen kennt man von Tarkowski. Es ist auch nicht ganz fremd, daß Filme gelegentlich umkippen in Halluzinationen (Easy Rider, Palermo oder Wolfsburg) oder ins Phantasmagorische (Apocalypse Now, Zabriskie Point). An Derek Jarman hat man geübt, allerhand galante Gewalt zu ertragen und einen Hang zur opernhaften Wehleidigkeit. Aus der jüngsten Oshima- Retro ist eine frühe japanische Studioproduktion im Gedächtnis, die auch von der Verstrickung eines jungen Mannes in einen Zuhälterclan erzählt – und soviel war hängengeblieben, daß man so eine Gruppe nicht verlassen kann. Skrupel müssen also überwunden werden, von seiten des Neuen.

Solch zarte Anflüge von Psychologie sind diesem gepriesenen Film – Mamma mia, der Goldene Löwe von Venedig! – allerdings fremd. Da steht er quasi drüber. Gleich in der ersten Viertelstunde folgende Szene: Es sitzen ein paar Rikschafahrer zusammen beim Essen. Sagt einer, er habe seit einiger Zeit Schmerzen beim Pissen. Sagt ein anderer, er auch. Sagt ein Dritter, du mußt mehr trinken. Sagt ein Vierter, ihm tat neulich die Schulter weh, und der Arzt hat gesagt ... Sagt wieder einer, wir können uns doch gar keinen Arzt leisten. Ein Scherz hinterher und Schnitt. Was ist aber nun mit dem Rikschafahrer, der beim Arzt war? Oder war er gar nicht? Eines von mehreren tausend Rätseln, die in einhundertzwanzig Minuten ausgegeben, ohne daß sie jemals wieder zurückgenommen werden. Huren bringen Dollars: Vom symbolischen Tausch versteht diese blasierte Fabel gar nichts.

Es gibt ein paar Szenen, die für sich ganz gut dastehen. Zum Beispiel die Szene, von schräg oben gesehen, wo ein Truck um die Ecke biegt und seine Ladung, das Chassis eines ausgebrannten Hubschraubers, abkippt. Oder die Hetzjagd einer Meute mit erhobenen Stöcken: Auf einem Nebenschauplatz passiert ein Unfall, und der tödlich Verletzte fällt auf die Fracht des Rikschafahrers, Hälften von Schweinen. Und in den Schweinen sind Drogen. Und wegen der Meute läßt die Polizei, die Cyclo gestoppt hatte, von ihm ab.

Die anderen Szenen mit viel Theaterblut sind nichts als pittoreske Sadisterie. Da wird einer gefoltert und geschlachtet, aber wir wissen noch nicht einmal für was. Das ist tragische Requisite ohne tragischen Konflikt. Andersherum, wenn Gewalt mehr symbolisiert wird (Aquarium wird zerschossen, Fisch fällt raus, verreckt), kommt aufdringliche Kunstmusik ins Spiel, anschwellende Dissonanzen. Damit wir nicht übersehen: Das ist jetzt mit feiner Nadel gestrickt. Manchmal werden auch aus dem Off Gedichte verlesen: „Sich baden im Regen / ich fröstle / gebratener Fisch ...“ Lieber Wie-hießen-Sie- noch-mal: Wir frösteln auch!

Der Regisseur ist nicht in Vietnam aufgewachsen, und man merkt es. Es ist für ihn ein exotisches Ambiente, das er mit Mühe stilisiert. Er ist in Frankreich erwachsen geworden und dort zur Filmschule gegangen. Sein Film ist also keine asiatische, sondern eine europäische Kopfgeburt.

„Für den Aufbau, die Struktur des Films spielt es eine große Rolle“, hat er kürzlich zu Protokoll gegeben, „daß ich den ganzen Ring der Nibelungen von Wagner im Kopf habe.“ Aber klar, und wo trinkt er seinen Kaffee? Natürlich täglich im Café Größenwahn. Ulf Erdmann Ziegler

„Cyclo“, Buch und Regie: Tran Anh Hung. Mit Le Van Loc, Tony Leung und einem tollen Song von Henry Rollins: Just Like You. Frankreich/Vietnam, 1995, 120 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen