■ Die deutsche Doppelmoral und Chiracs Ohrfeige für Italien
: Bequeme Prügelknaben

Wieder einmal steht Italiens Regierung wegen einer honorigen Tat im Regen. Frankreichs Grandeur- Epigone Jacques Chirac hat den für diese Woche vorgesehenen Gipfel in Neapel platzen lassen, weil die italienische Regierung die UNO-Resolution gegen die Atomwaffenversuche unterschrieben hat. Ministerpräsident Dini muß sich nun von den Neofaschisten „internationale Instinktlosigkeit“ und von besonders dämlichen Ex-Kommunisten „unzulässige Einmischung in französische Interna“ vorwerfen lassen – als ob nicht zehn weitere europäische Staaten und die überwältigende Mehrheit der UNO- Mitglieder für den sofortigen Teststopp gestimmt hätten. Hauptschuldiger an der nun höchst mißlichen Lage des – doch von Helmut Kohl so in den Himmel gehobenen – italienischen Ministerpräsidenten Lamberto Dini ist eindeutig die Bonner Regierung. Die hat sich in der UNO der Stimme enthalten, obwohl Chirac mit Deutschland einen ähnlichen Eklat wie mit Italien sicher nicht gewagt hätte. Die übliche Doppelmoral: zu Hause lauthals die großen Besorgnisse über die Versuche, doch kommt es zum Verurteilungsantrag, wird Schonung geübt.

Wir sollten uns klarmachen, wie oft den Italienern schon ähnlich mitgespielt wurde. Nur zwei Beispiele: 1992 zog die Regierung auf direkten Druck Kohls (er hat dazu ein denkwürdiges Interview im Corriere della sera erscheinen lassen) zum besseren Kampf gegen das organisierte Verbrechen ein Geldwäschegesetz durch – um dann alleine dazustehen und einen beispiellosen Lira-Sturz zu erleben, weil die Deutschen zwei Jahre länger damit warteten und genüßlich die aus Italien fliehenden Gelder als Teil der Bezahlung der Wiedervereinigung akzeptierten.

Oder Mitte 1995, als das Land dem Wunsch nach Stationierung eines Großteils der Nato-Waffen für Ex-Jugoslawien unter dem Versprechen nachgab, Italien werde Vollmitglied der Kontaktgruppe. Als dann die Truppen und Flugzeuge dastanden, wurde den Italienern unter Hinweis auf angebliche „Mißverständnisse“ die Tür vor der Nase zugeworfen.

Die Deutschen fühlen sich, mitunter zu Recht, als Zahlmeister Europas. Die Italiener haben allen Grund, sich als bequeme Prügelknaben der EU anzusehen. Werner Raith