Herbstlich-schlichte Monumente

■ Kurt Sanderling und Cheryl Studer mit dem NDR-Orchester

Für sein Sinfonieorchester langt der NDR ganz tief in den Geldbeutel: Kaum ein Konzert in dieser Saison, das nicht mit einem echten Star aus der Klassik-Szene prunkt, um das goldene Jubiläum des Klangkörpers zu preisen. Für diesmal sollten Kurt Sanderling und Cheryl Studer dafür sorgen, die ehrgeizige Zielvorgabe von Intendant Plog, das Orchester solle künftig in Europa ganz vorn mitspielen, bereits kurzfristig einzulösen.

Vielversprechend der Beginn: Die Tragische Ouvertüre von Brahms geriet unter den Händen Sanderlings zu einem lebendig-dramatischen Appetithappen, mehr in die Nähe von Schumanns Manfred gerückt als am Bild des Rauschebart-Genies orientiert. Als Begleiter hatte der 83jährige bislang in der Hansestadt nicht besonders überzeugen können: Ohrenzeugen seines letzten Auftrittes werden sich vielleicht noch an die in der Sanderlingschen Langsamkeit des Brahmsschen d-moll-Konzertes hilflos verreckende Mitsuko Uchida erinnern. Um so erfreulicher, daß sich der Maestro in Strauss–Vier letzte Lieder auffällig zurückhielt und seine Solistin weder durch Klanggewalt noch durch Bremsen in Bedrängnis brachte. Belastungsproben hätte Cheryl Studers eher kleindimensionierter Sopran mit schon etwas zerbrechlichen Höhen auch kaum ausgehalten, so jedoch kam eine herbstlich-schlichte Interpretation plus Textdeutlichkeit zustande.

Der eigentliche Prüfstein für das werdende Spitzenorchester folgte dann nach der Pause: Mehr sinfonische Wucht als kämpferisches Lebensdrama arbeitete Sanderling im Kopfsatz heraus, fuhr dort bei langsamen Zeitmaßen die dynamische Spannbreite der Sinfoniker voll aus und schuf so eine Monumentalität, die selbst bei fast völligem Versiegen der Bewegung das Werk nicht auseinanderfallen ließ. Die weiteren Sätze wirkten dadurch freilich etwas angehängt, doch Sanderling musizierte sie launig durch, sich , getreu Tschaikowskys Confuoco-Vorschrift, zu einem fetzig-rasanten Finale steigernd.

Jörg Königsdorf