Italien auch jenseits der Adria

Italiens Rechte heißt Immigranten aus Albanien plötzlich willkommen. Nicht wenige Albaner jedoch wittern einen „neuen Kolonialismus“  ■ Aus Bari Werner Raith

Giancarlo Ipolliti aus Bari versteht die Welt nicht mehr: Jahrzehntelang hatte er Ausländern vom Balkan, aus Afrika oder Asien klargemacht, wer in seiner Heimatstadt, wer in Italien Herr sei und wer Diener. Selbst vor der Denunziation heimlich eingewanderter Fremdlinge war er nicht zurückgeschreckt. „Und nun das.“ Ippoliti schüttelt heftig den Kopf. Ausgerechnet der Chef seiner Partei, der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, Zögling des Neofaschisten Giorgio Almirante, ausgerechnet der „stellt sich nun hin und verkauft uns Leute vom Balkan als halbe Italiener, die herzlich willkommen seien, wie immer sie auch in unser Land kommen“.

Noch vor zwei Jahren hatten die Ultrarechten zusammen mit der Polizei Albanien-Flüchtlinge gnadenlos im Fußballstadion zu Bari zusammengetrieben und nach Hause geschickt. Doch Fini bleibt dabei: Albaner sind in Italien willkommen. Und erst sehr langsam kommt auch die Presse dahinter, was den sonst so auf nationale Abschottung pochenden Neofaschisten zu seinem Tun veranlaßt. „Offenbar hat er bei seinem Blitzbesuch im September heimlich eine delikate Mission durchgeführt“, so die Zeitung L'Espresso. Und zwar soll Fini laut L'Espresso im Auftrag der italienischen Regierung, mehr aber noch in dem US-amerikanischer Geheimdienste sondiert haben, ob man die UNO-Truppen für die Friedensüberwachung in Ex- Jugoslawien nicht in Albanien stationieren könne. Das würde Italien insofern entlasten, als so nicht alle größeren Teile des 30- bis 50.000-Mann-Kontingents auf dem Stiefel stationiert sein müßten. Auch würde es den Italienern gestatten, dort ihrerseits Truppen zu stationieren. Denn bisher will die UNO wegen der unmittelbaren Nachbarschaft keine grün-weiß- roten Soldaten im Kontingent.

Vom offiziellen Tirana kam sofort grünes Licht. Die alten Basen, teilweise von den Chinesen geliefert, müsse man nur entstauben und renovieren, Unterkünfte stünden genug zur Verfügung, und man freue sich, wenn so viele Menschen aus reichen Ländern dann ihr Geld in Albanien ließen. Doch schlau haben die Albaner auch schon nachgehakt: Voraussetzung sei allerdings eine Erleichterung des Pendelverkehrs von Arbeitern, die zu Hause keine Beschäftigung finden, nach Italien rüber – und vielleicht gar von dort weiter nach Deutschland.

„Historische Verbunden- heit“ durch Besetzungen

Fini hatte Verständnis, und er fand gleich die richtige Begründung: Die Albaner seien immerhin historisch eng mit Italien verbunden, viele Menschen dort sprechen Italienisch, sie hätten also gar keine Eingewöhnungsprobleme. Und ein ansehnlicher Teil stammt gar von Italienern ab. Daß die „historische Verbundenheit“ im wesentlichen auf zwei Besetzungen durch die Italiener alleine in unserem Jahrhundert zurückzuführen ist, ließ Fini gewandt außen vor. Den Albanern ist derlei allerdings noch nicht so ganz aus dem Gedächtnis geschwunden. Und so hört man es jenseits des Adriatischen Meeres denn auch trotz der regierungsamtlichen Freude etwas anders: Über einen „neuen Kolonialismus“ schimpft Ozgar Enveren, Leiter eines Kulturzentrums in Vlore. Und der Gewerkschaftssekretär Gali Zogu warnt denn auch alle Albaner, „durch Einwanderung in Italien zu Sklaven zu werden und den Italienern irgendwann wieder einen Vorwand zu geben, bei uns einzufallen mit der Begründung, unsere Interessen zu schützen“.

Dennoch, zu groß ist der Sog nach Italien – mindestens so stark wie einst der aus der DDR in den Westen. Und zu sehr hat sich die Regierung trotz starker Reminiszenzen an den Sozialismus bereits auf westliche Wege begeben. Bestes Zeichen dafür: Die neue Verfassung Albaniens wird von einer New Yorker Rechtsanwaltsfirma ausgearbeitet – und die besteht nahezu ausschließlich aus italienischstämmigen Experten.