Traumziel Europa vor Augen

Jenseits der Meerenge von Gibraltar rüstet die Festung Europa auf: Mit Stacheldraht und High-Tech wehrt Spanien afrikanische Einwanderer ab  ■ Aus Ceuta Reiner Wandler

„Das Hotel ist belegt wegen der vielen Poli... – wir haben keine Zimmer“, druckste der Empfangschef des Gran Hotel verlegen. Fast wäre ihm das herausgerutscht, was dieser Tage alles andere als ein Geheimnis ist: Ceuta, die spanische Enklave auf der afrikanischen Seite der Meerenge von Gibraltar, gleicht noch mehr als sonst einer Kaserne. 170 zusätzliche Polizisten sind in der Stadt, um sie gegen jene Einwanderer zu schützen, die allnächtlich versuchen, von Marokko aus in die Stadt zu gelangen.

Die smarten jungen Herren mit Kurzhaarschnitt sind nicht zu übersehen. Wer nicht gerade Dienst hat, hängt gelangweilt in der Hotelbar herum oder vertreibt sich die Zeit mit Joggen auf der Hafenpromenade. Auch fünf Kilometer außerhalb der Stadt, im Lager für illegal eingewanderte Schwarzafrikaner, gibt es Anhänger dieses großstädtischen Modesports. „Nur so werde ich nicht vor Untätigkeit verrückt“, erzählt Gastón (26) aus dem Tschad. Er teilt sich mit neun weiteren Leidensgenossen eines der stickigen Militärzelte. Gastón studierte in Kamerun Elektrotechnik. Als eines Tages sein Stipendium und das seiner Kommilitonen aus unerklärlichen Gründen ausblieb, wurde er bei der Botschaft seines Landes vorstellig. „Diesen rebellischen Akt, wie sie es nannten, verziehen sie mir nie“, so Gastón. „Mir wurde klargemacht, daß es besser wäre, nicht nach Hause zurückzukehren.“ Er trat den Weg nach Europa an.

Von Ceuta erhofft sich Gastón die Erfüllung seiner Träume. Aber hier hält ihn die Grenze nach der Grenze fest: die Kontrolle am Steg der Fähre. Dort läuft Gefahr, nach Papieren gefragt zu werden, wer nicht europäisch genug aussieht. Jetzt sitzt Gastón vor seinem Zelt, nur 14 Kilometer von Europa entfernt. Bei klarem Wetter kann man die Häuser von Algeciras zählen.

Zum Glück kann es sich nur noch um Wochen handeln. Bis Ende des Jahres werden die 200 illegalen Immigranten Ceutas auf die iberische Halbinsel geschafft. Wer Arbeit findet, kann bleiben, wer nicht, fliegt nach einem Jahr wieder raus. Damit sich Ceuta nicht wieder füllt, bewachen die Beamten aus dem Gran Hotel die Grenze, bis sie in wenigen Monaten durch 35 Millionen Mark teure High-Tech ersetzt werden. „Hier finanziert die EU mit den Geldern aus dem Regionalfonds eine Umgehungsstraße“, steht auf den Schildern am Rande der Stadt. Die neue Straße dient allem möglichen – nur nicht der Verkehrsberuhigung. Sie läuft direkt am Stacheldrahtverhau der Grenze entlang und wird nur für die Guardia Civil befahrbar sein. Sensoren und Scheinwerfer sollen jede Bewegung verraten. An besonders unübersichtlichen Stellen kommen Fernsehkameras hinzu.

Ob das hilft? Ich glaube es nicht“, sagt der regionale Chef der Guardia Civil, Mariano Jorge. „Das wird enden wie 1992, als wir die Visumspflicht für die Maghrebstaaten einführten.“ Auch damals riß der Einwanderungsstrom nicht ab. Ceuta ist ohnehin nur die Notlösung für die ganz Armen, die in kleinen Ruderbooten mit Außenborder kommen. 20 auf einmal bringen sie über die Meerenge von Gibraltar direkt an die spanische Küste. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen. In die Hunderte dürfte die Zahl derer gehen, die einem plötzlichen Wetterwechsel zum Opfer fielen und ertranken. Von den 1.828 in diesem Jahr an Spaniens Südküste wegen „illegalen Grenzübertritts“ Aufgegriffenen hatten 419 diesen Weg gewählt. Wer mehr Geld hat, setzt in Fischerbooten oder in Lkws versteckt über.

Oberst Mariano Jorge weiß keinen Rat: „Jemand, der Tausende von Kilometern hinter sich gebracht hat, ist nicht durch einen Zaun aufzuhalten. Das haben die USA an der Grenze mit Mexiko nicht geschafft, warum sollte es hier gelingen?“ Und das Abschiebeabkommen, über das Spanien – wie Deutschland mit den Ländern Osteuropas – seit 1992 mit Marokko verfügt, wird von König Hassan II geflissentlich ignoriert. Die marokkanischen Grenzsoldaten weigern sich strikt, illegale Immigranten zurückzunehmen. Nach kurzer Pause fügt der Oberst hinzu: „Und schließlich kann man heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, keine Mauer mit Selbstschußanlage errichten, oder?“