Im Fadenkreuz der Fundamentalisten

■ Die Algerierin Khalida Messaoudi im Gespräch mit Elisabeth Schelma

„Ich bin Frau“, sagt die Algerierin Khalida Messaoudi im Gespräch mit Elisabeth Schelma, „und erst danach Algerierin, Berberin, Bewohnerin des Mittelmeerraums und Kämpferin.“ Die Chefredakteurin des Nouvel Observateur, Schelma, sprach mit der algerischen Oppositionellen Khalida Messaoudi, die von der Islamischen Heilsfront (FIS) zum Tode verurteilt wurde und seither im Untergrund lebt. Herausgekommen ist ein spannendes Buch, das die letzten zwanzig Jahre der politischen Entwicklung Algeriens sehr nah und vor allem sehr intelligent beleuchtet.

Khalida Messaoudi erzählt von ihrem Leben, das die Geschichte des unabhängigen Algerien widerspiegelt. Ihre Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus der Islamischen Heilsfront und dem Totalitarismus der regierenden Einheitspartei FLN mißt sich am konkreten Leben. Sie beschreibt, wie die FLN immer mehr in Filz und Korruption versank und dabei jede Art der Demokratisierung im Keim erstickte. Sie prangert die Verabschiedung des Familiengesetzes von 1989 an, das den Mann sogar berechtigt, für die Frau zu wählen, genauso wie die reaktionäre, freudlose Pseudoreligiosität der Fundamentalisten. Sie zeigt, wie populäre Musik wie der Rai von FIS und FLN gleichermaßen als bedrohlich empfunden wird: „Die einen (FNL) fürchten den Inhalt, die anderen (FIS) die Form.“

Im Gespräch mit der Mathematiklehrerin und jetzigen Vizepräsidentin der Bewegung „Mouvement pour la République“ (MPR, Bewegung für die Republik) wird nicht die anonyme Algerierin verhandelt. Hier spricht die selbstbewußte Frau, die gesellschaftliche Entwicklungen mit klaren Analysen benennt. Und sich dabei selbst treu bleibt. Ihr politisches Credo ist der Blickwinkel einer Frau. Den läßt sie weder von Kommunisten noch anderen fortschrittlichen Gesinnungsgenossen als Nebenwiderspruch vernebeln. Sie wehrt sich gegen Schablonen, Kategorien und Vorstellungen, die von der Notwendigkeit solidarischen Handelns befreien. Denn Zielscheibe des Terrors religiöser Fundamentalisten in Algerien ist vor allem die Frau. „Erst verschleiern sie die Frauen, dann den Verstand.“

Khalida Messaoudi gehört zu einer Generation von Frauen, die, nach Befreiungskrieg und Kolonialismus, ihren Platz in der algerischen Gesellschaft selbstverständlich beanspruchen. Sie verkörpert Mut und Widerstand, und sie ist keineswegs gewillt, sich politischem oder religiösem Totalitarismus zu beugen. Deshalb hat sie Algerien trotz Todesdrohung nicht verlassen. Sie zeigt, daß es in Algerien zwischen totalitärer Einheitspartei und religiösem Fanatismus noch eine dritte, eine demokratische Kraft gibt. Edith Kresta

Khalida Messaoudi: „Worte sind meine einzige Waffe. Eine Algerierin im Fadenkreuz der Fundamentalisten“. A. Kunstmann Vlg. München 1995, 237 S., 29,80 DM