■ In Asien kennt die Globalisierung Grenzen
: Wider den Freihandelsgeist

Der derzeit wichtigste Kronzeuge westlicher Selbstzufriedenheit im Hinblick auf ein Jahrhundert drohender asiatischer Wirtschaftshegemonie ist der kalifornische Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman. Der Professor glaubt nachweisen zu können, daß vom asiatischen Wirtschaftswunder trotz unvermindert hoher Wachstumsraten in der Region keine Rede sein kann. In Wirklichkeit, sagt Krugman, werde es den autoritär gelenkten Staaten Ost- und Südostasiens nicht anders gehen als seinerzeit den stalinistisch geführten Volkswirtschaften Osteuropas. Wenn einmal die durch den Zuwachs neuer Arbeitskräfte gewonnenen Wachstumsreserven erschöpft seien, müsse sich die im Vergleich zum Westen heute noch größere Ineffizienz asiatischer Unternehmen als Stolperstein auf dem Weg zur globalen Expansion erweisen. Technologische Innovation und Profitmaximierung bleiben laut Krugman der Schlüssel zum westlichen Erfolg. Daß es dazu auch in Asien kommt, werde durch die stärkere staatliche Regulierung der asiatischen Volkswirtschaften bis aufs weiteres ausgeschlossen.

Die Freunde Krugmans werden nun in den Ergebnissen der diesjährigen Gipfelkonferenz des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums (Apec) eine weitere Bestätigung für ihre Überlegungen finden. Asien, so lautete die Botschaft des Gipfels in Osaka, bekennt sich zur staatlichen Wirtschaftspolitik. Freihandel und Deregulierung rangieren allenfalls an zweiter Stelle.

Das große Ziel der Apec, aus dem pazifischen Wirtschaftsraum bis zum Jahr 2020 eine einzige uneingeschränkte Freihandelszone zu machen, ist zwar in Osaka noch einmal offiziell bestätigt worden. Doch im Grunde wollen die asiatischen Mitgliedstaaten der Apec etwas anderes: Von einem „einzigartigen asiatisch-pazifischen Weg“, den der Gipfel in Osaka festgelegt habe, sprach deshalb die japanische Regierung. Gemeint ist eine regionale Wirtschaftspolitik, mit der die Regierungen das Steuer in der Hand behalten. Gleichzeitig wird der Freihandel nicht als Selbstzweck definiert. Er nützt nur dort, wo jedes betroffene Land von Liberalisierungsmaßnahmen profitiert. Damit einher geht die uneingeschränkte Vorherrschaft nationaler Wirtschaftsinteressen. „Von einer Verpflichtung zur Liberalisierung bis ins Jahr 2020 kann für kein Apec-Mitglied die Rede sein“, betont die malaysische Wirtschaftsministerin Rafidah Aziz. Von Tokio bis Singapur wird ihr da niemand ernsthaft widersprechen.

Nach Krugman ist Asien damit auch im 21. Jahrhundert zur Rückständigkeit verdammt. Was aber, wenn sich der asiatisch-pazifische Weg als nachhaltiger als der westliche erweist?

Die sozialen Kosten einer uneingeschränkten regionalen Liberalisierungspolitik werden heute vor allem in Europa offenbar. Das Drama der neuen französischen Regierung hat gerade in den vergangenen Monaten auf exemplarische Weise offengelegt, daß eine staatliche Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit der Einführung der europäischen Wirtschaftsunion unvereinbar ist. Das Versprechen Jacques Chiracs, gleichzeitig den jugendlichen Arbeitslosen in den französischen Banlieues zu Hilfe zu kommen und den großen französischen Konzernen ein einheitliches europäisches Währungsumfeld zu schaffen, läßt sich nicht einhalten. Und es sind die Bedingungen der Europäischen Union, die Chirac jetzt keine andere Wahl ließen, als das Steuer so herumzureißen, daß in Frankreich heute Generalstreiks drohen.

In Asien wollen die Regierungen ähnliche Situationen vermeiden. Sie sind deshalb nicht bereit, sich auf zwischenstaatliche vertragliche Verpflichtungen zur Liberalisierung festzulegen, solange das nicht im Rahmen der Internationalen Handelsorganisation (WTO) erforderlich wird. So hat zum Beispiel Japan auf die meisten vom Ausland geforderten Deregulierungsmaßnahmen verzichtet. Die Folge sind anhaltend niedrige Wachstumsraten bei jedoch kaum steigenden Arbeitslosenzahlen. Trotz einer boomenden Volkswirtschaft hält Südkorea weiterhin an hohen Einfuhrzöllen fest. Der indonesische Staatshaushalt finanziert sich indessen zu einem großen Teil aus Einfuhrzöllen. Weil das Land mit seinen 180 Millionen Einwohnern den importierenden Firmen einen riesigen Markt verspricht, leidet das Geschäft jedoch weniger als in den anderen Ländern, und die Regierung in Jakarta denkt nicht an umfassende Zollsenkungen. Das gleiche gilt in gewissem Maße auch für China, das trotz der gestern verkündeten Zollsenkungen erwägt, speziell die Importzölle für Joint-ventures anzuheben, weil die ausländischen Unternehmen aus strategischen Überlegungen ohnehin nach China kommen.

Wie verheerend sich schnelle Liberalisierungsmaßnahmen auf die soziale Infrastruktur eines Landes auswirken können, hat sich jüngst bei der Deregulierung der thailändischen Landwirtschaft gezeigt. Unter der Konkurrenz großer Lebensmittelkonzerne brach dort die lokale Viehwirtschaft zusammen, was zu einer unkontrollierten Landflucht in die Slums von Bangkok führte.

Dabei gehen die Überlegungen der meisten asiatischen Wirtschaftspolitiker davon aus, daß die Volkswirtschaften Asiens in der Tat noch Rückstände im Vergleich zu den Industrieländern des Westens aufweisen. Gerade sie gilt es jedoch zu nutzen, um nicht in die Falle westlicher Wirtschaftspolitik zu geraten, die heute zwischen Sozialabbau und Wachstumsverzicht keine Alternative mehr kennt. So liegt der Erfolg der chinesischen Wirtschaftspolitik unter Zhu Rhongji gerade darin, daß durch Kreditverknappung das zuvor galoppierende Wirtschaftswachstum gedrosselt wurde.

Die Diskussion um eine zukünftige Weltwirtschaftsordnung steht damit vor einem Paradox: Zwar wird das Prinzip nachhaltiger Wirtschaft bis heute vornehmlich im Westen eingeklagt, doch stößt es hier auf den Widerspruch der Freihandelsbefürworter. In Asien hingegen ist von nachhaltiger Wirtschaft keine Rede, gleichwohl stehen ihre Prinzipien in geringerem ideologischen Widerspruch zur herrschenden Denkweise. Könnte gerade darin ein Hinweis auf die asiatische Überlegenheit der Zukunft liegen, solange die Demokratisierung der Region fortschreitet?

Krugmans These läßt sich jedenfalls nur dann widerlegen, wenn man den sozialen und ökologischen Faktor für die Kohäsion gesellschaftlicher Entwicklung als ausschlaggebend betrachtet. Insofern dürften seine Thesen eben nur diejenigen im Westen beruhigen, die glauben, die Geschichte lasse sich mit der Verbesserung von Unternehmensbilanzen fortschreiben. In Asien denkt so niemand. Georg Blume