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Israel sucht den Konsens der Mitte

Nach dem Mord an Rabin bemühen sich die zerstrittenen politischen Lager um Dialog und Versöhnung. Aber der innenpolitische Burgfrieden wird nur von kurzer Dauer sein  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Zwei Wochen nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin ertönt jetzt der Ruf nach einem Mindestmaß der Verständigung zwischen den großen Lagern in Koalition und Opposition. Sie hatten sich in den letzten Monaten in einer eskalierenden ideologischen und politischen Konfrontation gegenübergestanden. Die Empfehlung zur Trauerwoche, „in sich zu gehen“, wird nun ersetzt durch den Appell zu einem versöhnlichen Dialog der kollektiven Besinnung, der Verständigung durch Kompromisse, des Brückenschlagens zur Herstellung der nationalen Einheit.

Dies schließt natürlich die rechtsradikalen militanten Gruppen und Organisationen aus, die infolge des Mords an Rabin demnächst verboten werden sollen. Allerdings sieht die Arbeitspartei in den religiösen Parteien des Oppositionslagers – insbesondere bei den Orthodoxen – potentielle Bundesgenossen bei der gegenwärtigen Regierungsumbildung durch den amtierenden Ministerpräsidenten Schimon Peres.

Versöhnliche Gesten und Vorschläge für mehr Toleranz und die Suche nach gemeinsamen Wegen zur Konvergenz irgendwo in der Mitte des politischen Spektrums werden jetzt von allen Seiten verlangt. Die Initiative kommt sowohl aus Kreisen der regierenden Arbeitspartei, deren Mitglieder andeuten, daß die Politik des neuen Ministerpräsidenten mehr Rücksicht auf den Standpunkt der Opposition nehmen wird, als auch von verschiedenen Komponenten der rechten Opposition. Auch religiöse Parteien und sogar einige Siedlerkreise, die sich seit dem Mord an Rabin in der Defensive befinden, fordern nun einen Dialog und mehr gegenseitiges Verständnis.

Ariel Sharon, ein führender Politiker des oppositionellen Likud- Blocks und zur Zeit der Invasion im Libanon Verteidigungsminister, fordert jetzt ein gewaltsames Vorgehen gegen den jüdischen Terror „links und rechts“. Gleichzeitig mahnt auch er eine Art Dialog an: „Wir müssen und können zu einer Übereinkunft kommen. Die Regierung hat monatelang mit den Palästinensern gesprochen, aber hat nicht mal eine Stunde gefunden, um mit der eigenen Opposition über Lösungen zu konferieren, oder mit den Siedlern zu reden, um deren Schicksal es geht“, kritisierte Sharon und fügte hinzu: „Wir müssen einen neuen Anfang machen, und dafür ist vor allem der neue Ministerpräsident verantwortlich. Ich hoffe, daß sich die Führung an das nationalistische Lager wenden und eine ernste, ruhige Debatte beginnen wird. Ich bete, daß wir so zur Einheit und zu einem Einverständnis zwischen Juden kommen.“

Jossi Beilin, der Peres nahestehende Minister für Wirtschaft und Planung, rief in einer Rede vor einer Versammlung der moderaten religiös-liberalen Gruppe Memad „die Parteien links und rechts zu gemeinsamen Überlegungen in der Frage der Form einer künftigen endgültigen Lösung“ des Friedens mit den Palästinensern auf. „Die Rechte hat Tatsachen im Bereich der Siedlungen geschaffen, und wir [die Arbeitspartei und Koalitionsregierung, d. Red.] hat fertige Tatsachen auf dem Gebiet des Friedens geschaffen. Unter diesem ,Schirm‘ können wir jetzt, über die Dynamik des Hasses und der gegenseitigen Dämonisierung in der Vergangenheit hinaus, zu neuen Absprachen kommen.“ Es sei zwar schwierig, den gemeinsamen Nenner zwischen Links und Rechts zu erkennen, aber es gebe ihn: „Nämlich vor allem der Zionismus, die Sorge um die Zukunft des jüdischen Volkes [...] Dazu müssen wir durch Gespräche zu einer Übereinkunft kommen.“

Aber von anderen Israelis wird darauf hingewiesen, daß es sich hier „um eine Konfrontation zwischen grundsätzlich verschiedenen Werten [handelt] in der Frage, was wir wollen, wie es dazu kommen soll, wer wir sind und wie wir dastehen“, so etwa der Publizist Tom Segev in der Zeitung Haarez. Es gebe keine Grundlage für eine Versöhnung zwischen den Lagern. Man solle das Argument, Rabin habe die Siedler zu weit aus dem (nationalen) Lager gedrängt, nicht zu ernst nehmen. Rabin sei nicht ermordet worden, weil er jemanden beleidigt habe. Er sei ermordet worden, weil er versucht habe, Groß-Israel neu aufzuteilen.

Der innere Burgfrieden der ersten Zeit nach der Ermordung Rabins wird vermutlich nicht von langer Dauer sein. Wenn es weitere Schritte im Friedensprozeß mit Syrien geben soll, und der Preis dafür der Abzug von den Golanhöhen ist, wird der Streit erneut aufbrechen. Mit dem Oslo-Zwei-Abkommen über eine Ausweitung der Autonomie auf die Westbank hat sich die Opposition einstweilen abfinden müssen. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß die bevorstehenden Verhandlungen mit den Palästinensern über eine endgültige Lösung den Konflikt zwischen Koalitions- und Oppositionsparteien wieder in alter Schärfe zum Ausbruch bringen werden. Schließlich geht es dabei um so entscheidende Fragen wie den Status von Jerusalem, die Zukunft der Siedlungen, die Verteilung des Wassers und die künftigen Grenzen. Hinzu kommt, daß diese Verhandlungen dem gegenwärtigen Zeitplan zufolge mit dem Beginn des israelischen Wahlkampfes zusammenfallen werden.

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