Touristenführung nur noch mit Diplom

Mit einem verbindlichen „Berlin-Gütesiegel“ will ein Stadtführer die Konkurrenz vom umkämpften Markt verdrängen. Die Verwaltung befürchtet eine Monopolstellung  ■ Von Tobias von Schoenebeck

Die „Interessenvereinigung der Berliner Gästeführer“ zählt 160 Mitglieder. 160 Leute, die Berlin braucht. Tausende von Hauptstadttouristen würden ohne ihre Hilfe orientierungslos durch unsere hektische Stadt irren. Doch nun herrscht unter den Fremdenführern selbst Verwirrung: denn demnächst soll ein „Gütesiegel“ die Stadtführer in solche mit und solche ohne offizielles Zertifikat trennen.

Fünfunddreißig verschiedene Organisationen konkurrieren in Berlin darum, die Touristen an die Hand zu nehmen. Wie Pilze sind neue Touristikfirmen seit der Vereinigung aus dem Boden geschossen, die den etablierten Gästeführern das Leben sauer werden lassen.

Sein Herz für diese „alten Hasen“ hat nun einer entdeckt, der selbst ein solcher ist: Dr. Roland Wirth, Politologe und Erziehungswissenschaftler und seit vielen Jahren als Gästeführer tätig. Am eigenen Leib hat er erfahren, wie sein Stück vom Touristenkuchen in letzter Zeit zusammengeschrumpft ist. Gegen die Konkurrenz wollte Wirth etwas unternehmen: Mit Nachdruck propagierte er die Institutionalisierung eines examinierten „Touristik-Fachwirts“.

Die Überlegungen, dem Wildwuchs auf den Straßen Einhalt zu gebieten, fanden bei der Verwaltung offene Ohren: Im Senat denkt man schon länger darüber nach, wie das Image des zukünftigen Parlaments- und Regierungssitzes Berlin aufpoliert werden kann. Denn die Berliner Gästeführer haben einerseits einen bedeutenden Anteil an der Imagevermittlung der Hauptstadt, andererseits sind sie für diese Aufgabe in den Augen des Senats oft nicht ausreichend qualifiziert.

Das soll sich nun ändern. Peter Walch, Leiter des Referats für berufliche Weiterbildung bei der Senatsverwaltung für Arbeit, lobte im Frühjahr einen Wettbewerb für ein Konzept zur Qualifizierung der Berliner Gästeführer aus, das vom Senat und der EU finanziell unterstützt werden soll. Aus diesem Auswahlverfahren ging Wirth als Sieger hervor.

Seit dem 30. Oktober läuft unter seiner Leitung der erste Lehrgang des Modellprojekts „Eingliederung beziehungsweise Anpassung von Expertenwissen in das Berufsfeld Gästeführung“. Grundlage für diesen Lehrgang, zu dem Roland Wirth siebzig Personen zugelassen hat, ist ein von Wirth ersteller Rahmenplan, der eine Kursdauer von 160 Stunden vorsieht. Abschließend haben sich die Teilnehmer einer achtstündigen Prüfung zu unterziehen; im Falle des Bestehens werden sie mit einem „noch näher zu definierenden berlinspezifischen Gütesiegel“ ausgezeichnet.

Sechs Jahre „Gästeführung“ und Losglück sind Bedingung für die Qualifizierung zum „Berlin- Gütesiegel“-Inhaber: Als Teilnehmer ließ Wirth nur handverlesenes Publikum zu: die zwanzig dienstältesten Gästeführer Berlins, die zwanzig KollegInnen, die mindestens eine sechsjährige Tätigkeit als Gästeführer vorweisen können, und die vierzig StadtführerInnen, die die obigen Kriterien erfüllen und per Auslosung in das Projekt kommen. „Die älteren Hasen sollen einen Vorsprung haben“, erklärt Roland Wirth.

Doch der Alleingang des Stadtführers und Ausbilders Wirth stößt bei der Verwaltung auf Verwunderung: Referatsleiter Walch weiß nur, daß Wirth 25 Teilnehmer aus dem Osten und 45 aus dem Westen aufgenommen hat. Von einer weiteren Auswahl weiß und hält Walch nichts. Er habe seine Zusage nur für ein „freiwilliges, für alle Interessenten offenstehendes Qualifikationsprojekt mit Modellcharakter“ gegeben. „Die Ausbildung zum Gästeführer könnte ein Modul für das bundesweite Berufsbild ,Reiseleiter‘ sein“, erhofft er sich von der siebenmonatigen Qualifizierung.

Auch von einer weiteren Überlegung Wirths will Walch nichts wissen. „Totalen Quatsch“ und Vorbereitung auf eine „Monopolstellung, die wir nicht wollen“ nennt er Wirths Pläne, die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen: „Mittelfristig soll der Erhalt des Gütesiegels die Voraussetzung für die Führung/Betreuung etc. in einer bestimmten Region/Stadt (Berlin) sein. Personen, die diese Qualifikation nicht besitzen, sollen dann zukünftig keine Erlaubnis zur kommerziellen und/oder offiziellen Führung in dieser Region/ Stadt haben.“ Das schrieb Wirth im August an zwanzig Stadtführungsorganisationen, um auf sein Qualifizierungsseminar hinzuweisen und gleichzeitig „herzlich um Unterstützung“ seines Projektes zu bitten.

Für Walch eine „falsch verstandene Werbestrategie“, für Wirths Kollegen ebenso: Besonders die anspruchsvollen Touristenführer wehren sich gegen das Programm. Bei einer Mitgliederversammlung von art:berlin ging der Rahmenplan des Lehrgangs in wütendem Protest unter.

Beim Kultur-Büro vermutete man eine deklarierte Verschwendung von Steuergeldern, weil der Teilnehmerschlüssel offensichtlich zum Zweck größtmöglicher finanzieller Bezuschussung zurechtgeschustert sei. Jörg Zintgraf von Stattreisen wetterte gegen Roland Wirth, dem gehe es doch nur um die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes. Außerdem sei das Konzept schwammig und für Stattreisen unbrauchbar. „Wir brauchen keinen ,grünen Punkt‘ für unsere Mitarbeiter und werden uns unser eigenes Profil nicht verwässern lassen“, meint Jörg Zintgraf.