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Wieviel Meilen braucht der Mensch? Von Andrea Böhm

Es haben sich im amerikanischen Sprachgebrauch einige deutsche Wörter eingebürgert, die das Bild von Deutschland und den Deutschen nicht ganz unmaßgeblich mit geprägt haben. Zu den wichtigsten Germanismen zählen „Sauerkraut“, „Blitzkrieg“, „Autobahn“ – und in enger Verbindung zu letzterem: „Fahrvergnügen“ (BMW usw.), was etwa wie „Faahfähgnugen“ klingt.

Amerikaner sind nun aufgeschlossene Leute und – obwohl sie ihr Land selbst in der tiefsten Haushaltskrise immer noch für das beste der Welt halten – durchaus bereit, Vorzüge anderer Nationen anzuerkennen. An Deutschland bewundern linke Amerikaner die Macht der Gewerkschaften, rechte die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts in Sachen Abtreibung – und die große Mehrheit der Touristen die Autobahn. Genauer gesagt den Umstand, daß sich der deutsche Autofahrer auf weiten Strecken keinem Tempolimit unterwerfen muß. Höchstens der Macht des Faktischen in Form des Staus – aber das ist wieder ein anderes Thema.

Je weiter man gen Westen der USA reist, desto häufiger trifft man Amerikaner, für die Demokratie und Freiheit die Abwesenheit eines Tempolimits bedeutet. Ergo muß Deutschland ein ungemein freier und demokratischer Staat sein. Geht es nach den Republikanern im US-Kongreß, so werden die USA dem deutschen Vorbild bald ein Stück weit folgen und das landesweite Tempolimit von 55 Meilen pro Stunde (rund 90 Stundenkilometer) aufheben.

Nun ist es nicht so, daß der amerikanische Autofahrer bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Gaspedal drückt, wenn kein Streifenwagen der Highway-Polizei in Sicht ist. Im Gegenteil: Gerade der deutsche Besucher lernt schnell, das zivile und umweltfreundlichere Tempo auf den amerikanischen Highways zu schätzen. Hat man sich erst einmal an die überdurchschnittlich hohe Verbreitung von Schußwaffen in Kofferräumen und Handschuhfächern gewöhnt, dann sind Amerikas Highways sehr viel weniger furchteinflößend als Deutschlands Autobahnen.

Es geht auch weniger um das Grundrecht auf Rasen als um das Grundbedürfnis, dem Bundesstaat eins auszuwischen. Der zeichnet für das Tempolimit von 55 mph verantwortlich, was besonders Republikaner im US-Kongreß als unzulässige Einmischung in die Angelegenheiten der Einzelstaaten ansehen. Der Gouverneur von Texas wird wohl besser wissen als ein paar regulierungswütige Bleistiftspitzer in Washington, ob seine Texaner ein bißchen mehr Tempo im Straßenverkehr vertragen. Und warum soll man in Arizona und Utah, wo die Straßen leerer und schlaglochärmer sind als in der verkommenen Hauptstadt, das Tempolimit nicht auf 70 oder 80 mph hochschrauben? Da mag sich noch nicht das süße Fahrvergnügen einstellen, aber der Zugewinn an Freiheit ist ganz sicher enorm.

Es sei denn, die Freiheit kostet etwas. Wenn der Bund den Einzelstaaten immer weniger Geld zuschießen kann, werden Strafzettel gegen Autofahrer zu einer beliebten alternativen Einnahmequelle. Und wenn der Highway-Cop in Texas oder Utah erst mal ein wöchentliches Plansoll an Knöllchen ausfüllen muß, dann sollte man vielleicht das Wort „Transitstrecke“ in den amerikanischen Wortschatz aufnehmen.

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