Bleiben Sie dran?

■ Ist es möglich, nach zweihundert Folgen noch in die "Verbotene Liebe" (ARD) einzusteigen? Der Erfahrungsbericht eines durchaus willigen Seiteneinsteigers

Ich gebe es gern zu: Ich habe ein Faible für Menschen, die aus ihrer Einfallslosigkeit keinen Hehl machen. Wenn zum Beispiel Kulturarbeiter für ihre Produkte Titel auswählen, die schon unzählige Werke der trivialen und der nicht so trivialen Kunst schmückten – dann begrüße ich das durchaus. Denn zwanghafte Originalität ist mir ein Greuel. Deshalb will ich am kommenden Montag endlich zum ersten Mal „Verbotene Liebe“ sehen, die Vorabendserie der ARD, von der ich schon mehr als 200 Folgen verpaßt habe. Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wer in dieser Serie wem die Liebe verbietet, blickte ich also in den Gong, die Programmzeitschrift speziell „für Leute, die gern fernsehen – aber nicht alles“ (Werbeslogan).

Den Inhalt der Folge vom letzten Montag faßt das Fachblatt folgendermaßen zusammen: „Charlie ist empört, daß Clarissa von ihr verlangt, mit Christophs Anwalt zu schlafen, um aus ihm wichtige Infos herauszuholen. Henning und Sophie fallen sich nach einem Streit in die Arme.“ Zählt man nicht nur Christophs Anwalt mit, sondern auch Christoph selbst, kenne ich zwar immerhin schon sechs Personen. Aber ich weiß nicht, warum Clarissa überhaupt was von Charlie „verlangen“ kann, geschweige denn, welche „Infos“ sie, Clarissa, sich davon verspricht, wenn Charlie mit Christophs Anwalt ins Bett geht. Ich erfahre, daß Henning und Sophie sich immer noch oder wieder lieben, womit zumindest die Hälfte dessen erfüllt ist, was der Titel der Serie verspricht. Doch etwas Verbotenes haftet ihrer Beziehung offensichtlich nicht an.

Ich bin verwirrt, also blättere ich weiter zum Dienstagprogramm, in dem mir der zuständige Gong-Redakteur mitteilt: „Susanne genießt es, von Thomas hofiert zu werden... Auch Jan und Nicole gestehen sich ihre Liebe.“ Na, prima! Und wer will den vieren das verbieten? Leicht genervt werfe ich einen Blick auf die Ankündigung vom Mittwoch, doch es nützt nichts. Thomas sei ein „Uni-Casanova“, steht da, und daß die „Affäre“ mit Susanne jetzt im Gange sei. Was an einer Affäre mit einem Uni-Casanova verbotswürdig sein soll, steht da nicht.

Es ist nur ein schwacher Trost, daß die Handlung in der Mittwochs-Folge ein bißchen in Fahrt kommt: „Anna und Florian wollen endlich reinen Tisch mit Maren machen. Sie kündigen ihren Besuch per Internet an, erreichen Maren aber nicht. Nicole bietet Julia an, bei ihr zu wohnen.“ Anna, Florian und Maren scheinen ein wie auch immer geartetes Dreiecksverhältnis zu haben oder gehabt zu haben, bedenkt man, daß die drei über Zugang zu zeitgemäß ausgerüsteten Computern verfügen (Internet!), war womöglich auch Cybersex im Spiel. Aber auch der ist bekanntlich nicht verboten. Und wie verhält es sich mit Nicole und Julia? Ein Bild unter dem Text zeigt, wie die beiden auf dem Bett liegen und in Zeitschriften blättern. Wenn's wenigstens verbotene wären! Doch Nicole und Julia lesen nicht radikal, sie lesen Brigitte.

Mittlerweile ist meine Motivation gesunken, mir „Verbotene Liebe“ anzuschauen, und ich blicke nur noch gelangweilt auf die Donnerstags-Seiten des Gong: „Nach der Unterredung mit Christophs Anwalt ist Charlie siegessicher; die Scheidung läuft nach Wunsch. Clarissa hat da so ihre Zweifel, zumal sie weiß, daß Christoph Julia einen großen Teil seines Vermögens überschrieben hat.“ Ich weiß jetzt Bescheid über das Verhältnis zwischen Christoph und Charlie. Aber wo bleibt die verbotene Liebe? Davon gibt's offensichtlich auch am Freitag nichts zu sehen, denn im Gong ist nur von Scheidungskrieg und Pferden die Rede.

So gehört die Drehbuchautorin Heike Brückner offensichtlich doch nicht zu den offensiv einfallslosen Kulturarbeitern. Sie hat sich viele Gedanken gemacht, bevor sie ihrer Serie den Titel „Verbotene Liebe“ gab – nur ein zwanghaft origineller mehr. Natürlich werde ich mir niemals eine Folge anschauen. Gong sei Dank. René Martens