■ Bundesverfassungsgericht berät über Art. 16a Grundgesetz
: Der Positivismus der Menschenfeinde

Das neue Asylrecht hat sich vorzüglich bewährt. Bundesinnenminister Manfred Kanther liebt es, auf die Zahlen hinzuweisen, die er als Qualitätsbeweis für den eingeführten Grundrechtsartikel 16a heranzieht: Waren es 1992 noch 438.191 Asylbewerber, haben es 1994 nur 127.000 geschafft, in der Bundesrepublik einen Antrag zu stellen. Darf man vor diesem Hintergrund noch anmerken, daß der Rückgang der Zahlen kein Indiz darstellt für eine verringerte Zahl von Hilfesuchenden aus Ländern, wo Folter und Verfolgung herrschen?

Die frohlockende Zahlenbotschaft der Ausländerfeinde macht da halt, wo die rechtlichen Probleme anfangen. Denn Zahlen allein machen nicht glücklich, mehr noch, sie schaffen kein Recht. Recht zu schaffen, das war das Ansinnen der Asykompromißler. Mit dem eingeführten Artikel 16a formulierten sie ein unförmiges Monstrum, das wieder aufhebt, was der alte und nicht gestrichene Artikel 16 formuliert: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Bei diesem Handstreich, bei dem nicht nur die Koalition, sondern auch die SPD mit großer Mehrheit zustimmte (wenn auch mit schlechtem Gewissen, denn die Sozialdemokraten haben ja den Anspruch, gute Menschen zu sein), übersahen unsere Volksvertreter allerdings eines: Man kann Recht setzen, soviel man will; wenn es Unrecht legalisiert, darf es nicht bestehen bleiben. Das ist der alte Trick positivistisch gesinnter Menschenfeinde: Das Unrecht in Recht gießen und dann auf die Rechtmäßigkeit des Unrechts verweisen.

Gleicher Machart ist auch die zynische Argumentation Kanthers, wonach der Asylkompromiß letzte Rettung im Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland war. Auch hier stimmt das Gegenteil: Die Asylrechtsdebatte hat der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland Rückenwind zugefächelt. Hoffen wir also auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und darauf, daß es den menschenfeindlichen Artikel 16a für verfassungswidrig erklären wird. Und hoffen wir aufs Rückgrat der acht Richter und Richterinnen aus Karlsruhe. Darauf, daß sie sich nicht schrecken lassen von den Rufen aus Bonn und der Drohung, man werde bei einer mißliebigen Entscheidung erneut, via Bundestag, das Asylgrundrecht zur Farce machen. Und sollen wir auch auf die SPD hoffen? Besser nicht, der neue Vorsitzende Oskar Lafontaine sagte kurz nach dem Kompromiß: „Das ist ein entscheidender Schritt nach vorn.“ Julia Albrecht