Der Frieden hängt an einem Korridor

Nach den Verhandlungen in Dayton wird das größte Problem gelöst werden müssen: Die Zukunft des Landkorridors von Posavina. Fortschritte gibt es in der Frage des Status von Sarajevo  ■ Von Erich Rathfelder

Egal, wann und wie die Bosnien-Verhandlungen in Dayton ausgehen, wird nachverhandelt werden müssen. In bilateralen Gesprächen wird um die entscheidende Frage gerungen werden: eine Lösung für den serbisch kontrollierten Posavina-Korridor bei Brčko.

In Dayton hatte die serbische Delegation eine Verbreiterung des Korridors auf 15 bis 20 Kilometer verlangt – eine weder für die bosnische noch die kroatische Seite hinnehmbare Forderung. Allein die Existenz des Korridors erlaubt einer serbisch-bosnischen Republik, die Grundlagen des zukünftigen Staates Bosnien-Herzegowina immer wieder in Frage zu stellen. Denn mit dem Korridor, der die serbisch besetzten Gebiete Ostbosniens mit denen in Westbosnien verbindet, ist ein serbisch-bosnischer Teilstaat lebensfähig.

Dennoch war der bosnische Präsident Alija Izetbegović in Dayton unter dem Druck der USA bereit, den Korridor zu akzeptieren. Außenminister Muhamed Sacirbey und Ministerpräsident Haris Silajdžić protestierten. Doch erst mit der Rücktrittsdrohung des Präsidenten der kroatisch-bosnischen Föderation, Krešimir Zubak, scheiterte eine Übereinkunft.

Bei einer Erweiterung des Korridors wäre auch das kroatisch kontrollierte Gebiet von Orasje betroffen. Die Kroaten müßten dieses Gebiet räumen, das westlich der kroatischen Grenze und östlich von Brčko liegt.

In bezug auf den Korridor stehen also unvereinbare Interessen gegeneinander: die Überlebensfähigkeit eines bosnischen Staates entscheidet sich am Korridor. Gelänge es nicht, eine Straßenverbindung von der bosnischen Industriestadt Tuzla nach Kroatien zu etablieren, also sozusagen einen Gegenkorridor zu errichten, fehlten den Industrieregionen Zentralbosniens die nötigen Verbindungen. Eine bosnisch-kroatische Straßenverbindung bei Brčko wollen die serbischen Unterhändler jedoch nicht erlauben. Auch der Vorschlag, Nato- oder UNO-Truppen in dem Korridor zu stationieren, wurde bisher von den Serben abgelehnt.

In und um Sarajevo sowie in Goražde haben die Unterhändler jedoch Beachtliches erreicht. Wenn den nichtoffiziellen Verlautbarungen zu trauen ist, dann hat die bosnische Seite das Konzept einer „offenen Stadt“ durchgesetzt. Zwar würden die jetzt existierenden Demarkationslinien eingefroren und damit die Stadt faktisch geteilt werden. Bürgermeister Tarik Kuposovik drohte deshalb mit Rücktritt und forderte, die multikulturelle und multiethnische Identität der Stadt zu erhalten. Doch längerfristig könnte der in und um Sarajevo erzielte Kompromiß doch zu einer Beruhigung der Lage führen. Nach dem bisher erreichten Diskussionsstand wären die westlichen und nördlichen Zufahrtswege geöffnet, der Flughafen in der Hand der Bosnier, die Eisenbahnlinien ebenfalls. Der schon beschlossene Korridor von Sarajevo nach Goražde würde das Leben in der Enklave wesentlich erleichtern. Die serbischen Kontrollstellen wären abgeschafft, die Straßen wären für die gemeinsame Nutzung beider Seiten offen. UNO- oder Nato-Truppen könnten übergangsweise für die Sicherheit der Reisenden sorgen.

Viele Bewohner Sarajevos vertrauen für die Zukunft auf die Integrationskraft der Stadt. Denn die serbischen Gebiete in der Umgebung sind tiefste Provinz. Ihre Bewohner sind seit über drei Jahren von der städtischen Infrastruktur abgeschnitten. Schwerkranke Serben aus der Umgebung Sarajevos mußten in das 400 Kilometer Landweg entfernte Banja Luka gebracht werden, wenn sie einer adäquaten Behandlung unterzogen werden sollten — die serbischen Krankenhäuser um Sarajevo können nicht jede Krankheit behandeln, wohl aber die Krankenhäuser in der Stadt selbst. Mit dem Friedensschluß könnten auch Serben die Krankenhäuser in Sarajevo nutzen. Die Bildungsangebote der zahlreichen Schulen und der Universität könnten auch von jungen Serben wahrgenommen werden.

Gekoppelt mit einem wirtschaftlichen Wiederaufbauprogramm könnte die Attraktivität der Stadt eine politisch positive Sogwirkung auf die umliegenden serbischen Landbewohner entwickeln. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Integrationsprozeß nicht wieder durch militärische Aktivitäten der serbischen Seite gestört wird. Dafür gibt es freilich keine Garantie, solange die Macht in den Händen der derzeitigen Herrscher ist.

Ein weniger beachtetes Problem stellt sich mit der Forderung der serbisch-bosnischen Seite nach einem Zugang zum Meer. Dabei geht es um den Anspruch, die Kontrolle über die südlich von Dubrovnik liegende Landzunge Konavle im Austausch gegen die östlich Dubrovniks liegende Stadt Trebinje zu erhalten.

Hier sind militärische Interessen im Spiel: die schmale Landzunge Konavle liegt nämlich am Eingang der Bucht von Kotor, in der die serbische Kriegsflotte liegt. Würde Kroatien einem Tausch Trebinje-Konavle zustimmen, könnte die serbische Flotte wieder in der Adria operieren. Westliche Militärs melden dabei Bedenken an. Denn angesichts des guten serbisch-russischen Verhältnisses könnte der Hafen dann auch von russischen Schiffen genutzt werden. Die russische Flotte in der Adria könnte aber zu Sicherheitsrisiken führen, warnen sie.