Den Reformdruck erhöhen

■ Der brasilianische Oppositionsführer Luis Inacio Lula da Silva plädiert für Umwelt- und Sozialklauseln im Welthandel. Deren Verhinderung diene nur der Unternehmerseite

taz: Die meisten Entwicklungsländer fürchten die Einführung von Sozialklauseln in der WTO: Das sei nur verdeckter Protektionismus. Teilen Sie diese Kritik?

Lula da Silva: Nicht ganz. Wir sind auf jeden Fall zunächst einmal bereit, über Sozialklauseln im Welthandel zu diskutieren. Natürlich wollen wir keine protektionistischen Regeln, die nur dem Norden nützen. Unser Ziel ist eine internationale Ordnung, in der alle Länder gleichberechtigt sind.

Nehmen wir mal an, eines Tages stellt die WTO fest, daß die Arbeitsbedingungen in der brasilianischen Zuckerindustrie den Sozialstandards nicht genügen. Also schließt die WTO brasilianischen Zucker vom Weltmarkt aus. Könnten Sie als Vorsitzender der Arbeiterpartei ein solches Ergebnis denn vertreten?

Natürlich will ich keinen Boykott eines Produktes oder eines Landes von Anfang an. Man muß auf jeden Fall eine Zeitspanne gewähren, in der sich die brasilianische Zuckerindustrie modernisieren und für bessere Arbeitsbedingungen sorgen kann. Wir als Gewerkschaftsbewegung brauchen sicher viel Zeit, bis wir die Unternehmer darauf vorbereitet haben – und übrigens auch, um unsere eigenen Mitglieder darauf einzustimmen.

Ihre Wähler reagieren wohl ziemlich ängstlich und skeptisch auf dieses Thema?

Sicher. Übrigens ist das auch eine Strategie der brasilianischen Regierung: Die erwecken den Eindruck, als seien solche Sozialklauseln nur Terrorismus der reichen Länder gegenüber den armen. Zumindest bei uns ist es so, daß konservative Parteien diese Regeln von vornherein ablehnen, denn die interessiert in erster Linie der Unternehmerstandpunkt.

Sozialklauseln sollen also den Reformdruck in Brasilien erhöhen?

Ja. Wir wollen erreichen, daß unser Land sich auf solche Klauseln vorbereitet, um dann auch umgekehrt die Einhaltung der WTO-Regeln, etwa den Abbau von Handelshemmnissen, von den Ländern im Norden fordern zu können. Sicher ist das noch keine Diskussion in der Bevölkerung, noch nicht mal in der Gewerkschaft, aber es ist eine Chance.

Erwarten Sie von den Umweltklauseln, die die WTO plant, ähnlich positive Wirkungen?

Sicher fallen einem sofort ein paar Beispiele ein, wo Umweltschutz in Brasilien verbessert werden müßte. Nehmen Sie z.B. den Mognus-Baum. Dieses Tropenholz ist inzwischen fast überall abgeholzt, und die wenigen Bäume, die noch stehen, werden nach und nach gerodet und exportiert. Hier müssen Kontrollmechanismen geschaffen werden.

Was aber viele Menschen, die von der Holzindustrie leben, nicht gerade begeistern wird...

Vorsicht! Das ist eine Diskussion, die auch die brasilianische Rechte drauf hat. Uns geht es ja nicht darum, die Holzindustrie abzuschaffen. Aber wir finden, daß sie ihre eigene Arbeitsgrundlage nicht zerstören darf. Wenn man einen 300 Jahre alten Baum fällt und nichts Neues hinstellt, ist das ein Verbrechen gegen die Natur.

Aber müssen die Anstöße, das zu verhindern, unbedingt aus dem Norden kommen? Viele Gruppen im Süden halten das nur für Einmischung des Nordens.

Ich finde es verständlich, daß die Diskussion über Umweltschutz im Norden losgetreten wird. Denn dort sind die elementaren Probleme, mit denen wir in Brasilien kämpfen, schon weitgehend gelöst: Schulbildung, Ernährung, Arbeitsplätze. Trotzdem darf dem Süden das ökologische Bewußtsein nicht aufgezwungen werden. Es muß einen Diskussionsprozeß, einen Reifeprozeß geben, damit wir alle verstehen, daß wir die Natur erhalten müssen.

Das dürfte ein ziemlich langer Prozeß werden.

Natürlich, aber wenn keine politische Überzeugung der Betroffenen dahintersteht, ist er sinnlos. Eine Gemeinde in Brasilien muß überzeugt sein, daß es richtig ist, den Tropenwald nicht anzuzünden – sonst läßt sich das beste Verbot nicht überwachen. Nötig ist dafür auch, daß die Regierung diesen Prozeß der Überzeugung fördert. Und hier hoffe ich, daß auch der internationale Druck etwas bewirkt. Interview: Felix Berth