"Die SPD will an unsere Wähler ran"

■ Von seinem Gespräch mit Oskar Lafontaine verspricht sich PDS-Chef Gregor Gysi vor allem eines: mehr eigenes Profil

taz: Steht Ihr Termin mit Lafontaine noch?

Gregor Gysi: Ich hab' zumindest nichts anderes gehört.

Was erwarten Sie sich von dem Gespräch?

Als Wichtigstes: ein intensiveres Kennenlernen über das Fernsehbild hinaus. Natürlich wird es auch um das Verhältnis beider Parteien zueinander gehen. Aber nicht in Richtung irgendwelcher Bündnisse oder Koalitionen. Das halte ich für Quatsch. Sondern in Richtung eines normalen Umgangs miteinander. Im nächsten Jahr steht die 50jährige Wiederkehr der Entstehung der SED an, also der Vereinigung von SPD und KPD. Da könnte man überlegen, ob man Streitbares zur Aufarbeitung der Geschichte betreibt oder nur übereinander schimpft.

Das kann aber nicht alles sein?

Selbstverständlich mache ich mir Gedanken über die Situation in den neuen Bundesländern. Ganz bestimmt ist die SPD nicht glücklich über die Lage, nur in großen Koalitionen regieren zu können. Auf der anderen Seite hat in der PDS die Oppositionsrolle den klaren Vorrang, aus unserem gesellschaftlichen Oppositionsverständnis heraus. Wiederum sage ich mir: SPD, Bündnis 90/Grüne und PDS kommen in eine komplizierte Situation. Wenn es irgendwann eine gesellschaftliche Mehrheit für die Parteien links von der CDU gibt, dann werden es die Wähler aller drei Parteien schwer verübeln, wenn wir nichts anfangen mit so einer Mehrheit.

Also doch Gespräche über Zusammenarbeit?

Das Ganze war viel harmloser angedacht als das, was jetzt hineininterpretiert wird. Es gibt keine Themenabstimmung. Ich habe nur meine Problemlage dargestellt. Nämlich eine Frage, auf die ich selbst keine richtige Antwort habe. Würde mich heute eine Landtagsfraktion fragen, ob ich ihr rate, in eine Koalition mit der SPD zu gehen, würde ich nein sagen. Aber eins darf uns nicht wieder passieren: daß man erst darüber spricht, wenn die Situation eingetreten ist.

Der Linksruck kommt also auf leisen Sohlen?

Ich glaube nicht an einen Linksruck in der SPD. Durch den Wechsel an der Spitze rückt die Partei noch längst nicht nach links, und außerdem bezweifle ich, daß Lafontaine nach meinem Verständnis ein Linker ist. Im großen und ganzen bleibt die SPD so, wie sie ist, das sieht man ja auch am Bosnienbeschluß und anderen Beschlüssen des SPD-Parteitags.

Ist in Mecklenburg für Sie ein SPD-PDS-Bündnis wünschenswert?

Ich wünsche mir überhaupt keine Koalition – gegenwärtig. Aber es kann komplizierte Situationen geben, wo man kaum eine andere Chance hat. Deshalb sage ich nicht nie. Die große Koalition in Mecklenburg ist für die Bürger des Landes keineswegs vorteilhaft. Das ist eindeutig. Gäbe es also eine andere Möglichkeit, kann man Änderungen zugunsten der Bürger nicht unterlassen. Sonst wird man zum Selbstzweck. Sollte die SPD in Mecklenburg also einmal aus der großen Koalition ausscheiden, dann könnte man über eine Duldung oder Tolerierung nachdenken. Dazu rate ich.

Also doch Stoff genug für Ihr Gespräch mit Lafontaine?

Ich treffe auch den Ministerpräsidenten. Und er ist der vierte, nach Wedemaier, Simonis und Stolpe. Und Gespräche mit Politikern der anderen Parteien hat es auch schon gegeben. Auch als Lothar Bisky 1993 Parteivorsitzender wurde, gab es Antrittsbesuche sogar bei Herrn Schäuble von der CDU/CSU. Ich weiß also gar nicht, woher die Aufregung kommt. Das ist eine typische deutsche Intoleranz und weit entfernt von westeuropäischem Niveau.

Warum, glauben Sie, sucht denn Lafontaine das Gespräch?

Ich gehe ja nicht völlig naiv an die Sache heran. Die SPD will unsere Wähler. Die SPD hat in Berlin erlebt, was Ausgrenzung bringt. Diese Wahl bedarf einer genauen Analyse. Da gibt es auch Umfragen, wen PDS-Wähler wählen würden, wenn es die PDS nicht gäbe. Da schneidet die SPD nicht schlecht ab. Ein Zugang zu Wählern der PDS läßt sich nur finden, wenn man die auch normaler behandelt und nicht überall ausgrenzt. Das erkennen ja inzwischen auch einige in der CDU, die nicht nur die Westsicht haben. Die PDS auszugrenzen führt dazu, daß sich die PDS-Wähler ausgegrenzt fühlen. Die fühlen ihre Rechte dann eingeschränkt.

Dann schmeichelt Ihnen ja sicher, wenn Lafontaine jetzt sagt, er möchte die PDS an der Demokratie teilnehmen lassen.

Das ist merkwürdig formuliert. Eine Demokratie kann doch nicht darüber entscheiden, wen sie teilnehmen läßt. Aber ich ahne ja, was Lafontaine meint: die Verwirklichung des Artikels 21 Grundgesetz, wonach alle Parteien, auch die PDS, die Aufgabe haben, am politischen Willensbildungsprozeß gleichberechtigt mitzuwirken.

Also auch mitzuregieren?

Sie kriegen mich jetzt nicht in diese Richtung. Mitwirken heißt Gleichberechtigung der PDS und die Auseinandersetzung mit ihr. Es gibt doch zwei Strategien: die einen sagen, die PDS kriegt man tot, wenn man sie ausgrenzt und nicht beachtet etc. Die anderen sagen – der erste war, glaube ich, Joschka Fischer –, so wird das nichts, so baut man sie nur auf, man muß sie einbeziehen und „entzaubern“. Ein PDS-Wohnungsbauminister könnte zum Beispiel auch keine Wohnungen zaubern. Aber wenn ich bei gleicher Zielstellung die Wahl zwischen beiden Methoden habe, ist mir die, die mit mehr Freundlichkeit verbunden ist, immer noch die angenehmere. Ich sage allerdings: Beide Wege führen nicht zum Ziel. Die PDS ist weder auf die eine noch die andere Art totzukriegen.

Wieviel Sozialismus will die PDS denn noch?

Vom wirklichen demokratischen Sozialismus gar nicht genug. Aber das ist auch eine Frage des Begriffes. Wenn Sie an die Sozialdemokratie unter August Bebel denken, war sie sozialistisch, wenn Sie an die SPD von heute denken, ist sie es nicht. Wir müssen sicher wieder präziser werden, und das sehe ich auch als Vorzug, wenn man wieder mit uns spricht und streitet. Es gibt nämlich ein Problem: Wenn unsere Konzepte eigentlich nie hinterfragt werden, weil man uns die Legitimität abspricht, überhaupt Konzepte zu entwickeln, dann werden sie nicht kritisch hinterfragt. Das hat zwar den Vorteil, daß Sie bei den eigenen Anhängern sehr glaubwürdig erscheinen, weil Ihnen in der Sache niemand widerspricht, aber das kann irgendwann auch zu einer gewissen Oberflächlichkeit verführen. Weil Sie ja ungenügend herausgefordert werden.

In der SPD warnen einige Ostler noch immer vor dem Treffen mit Ihnen. Wie können Sie denen ihre Ängste nehmen?

Das sind keine Ängste, das sind festgefahrene ideologische Fronten. Ich glaube nicht, daß sich in deren Leben daran noch was ändern wird, vielleicht noch bei Meckel. Aber vergessen Sie nicht, wie viele Gegner es in der SPD gegen die Entspannungspolitik gab, und sie hat sie trotzdem gemacht.

Wer ist das denn überhaupt noch, die PDS und ihre Wähler: Stasi-Spitzel, Jugendliche, Kleinbürger, neuer Mittelstand? Pieroth und Bergner aus der CDU sagen inzwischen: Konservativ wie wir sind die zum Teil auch...

Ich glaube, wir sind die heterogenste Partei, die es zur Zeit gibt, und es gibt keine Schublade dafür. Ich will aber auch keine schubladengerechte Partei. Mit dem Begriff „linke Volkspartei des Ostens“ kann ich gerade so leben, der neue Titel „CSU des Ostens“ paßt mir gar nicht. Es ist alles viel komplizierter. Selbst die Struktur der Wähler unterscheidet sich ganz beachtlich von der Struktur der Mitglieder, die wir haben, und zweifellos ist das auch nicht ohne Probleme für uns. Aber die CDU überschätzt das. Sicher, die SED als Staatspartei war eine Law-and- order-Partei. Und da hat sich im Bewußtsein vieler eine Menge festgesetzt. Die Herausforderung für die PDS ist, vor allem wenn sie weiß, daß die SED kleinbürgerliche Strukturen hatte, wie geht man jetzt damit um. Schritt für Schritt werden wir versuchen, linke Positionen zu festigen. Wenn jetzt die Konkurrenz diesbezüglich schärfer wird, kann ich nur sagen: Um so besser. Wir müssen unser Profil verdeutlichen, und das braucht auch Druck. Denn verändern müssen wir uns noch, das ist unstrittig. Dazu brauchen wir ein Profil für die ganze Bundesrepublik und nicht nur ein östliches.

Ziehen Sie sich nicht gerade aus dem Westen zurück? In Rheinland-Pfalz nimmt die PDS nicht mehr an den Wahlen teil.

Landeskompetenz haben wir ja noch nicht. Wir müssen von unten anfangen, in den Kommunen. Immerhin sitzen wir schon in fünf Bremer Ortsbeiräten, und bei den Kommunalwahlen in Bayern sehe ich zum Beispiel in Nürnberg eine Chance. Die Schwierigkeit liegt im Westen aber auch darin, daß wir keine reine Ideologiepartei mehr sind. Da liegt auch das Problem für viele Westlinke, sich die PDS paßgerecht zu machen. Das funktioniert eben nicht.

Ist Lafontaine da nun ein Türöffner für Sie, der die PDS hoffähig macht? Oder will er Sie nur umarmen und erdrücken?

Türöffner brauchen wir nicht mehr. Kleiner machen will er uns sicherlich, aber eben auch anders mit uns umgehen. Um nicht von vornherein Konstellationen für mögliche Regierungsbildungen auszuschließen. Aber die würden auch unabhängig von meinem Gespräch mit Lafontaine bestehen. Die Möglichkeiten hierfür stehen erst am Anfang und bleiben es auch nach diesem Treffen. Davon bin ich überzeugt. Angesichts linker Mehrheiten im Land muß man eben auch darüber nachdenken, wie der Zwang zu großen Koalitionen verringert werden kann.

Ein gefundenes Wahlkampffressen für die CDU...

Jedes Thema nutzt sich ab. Wenn die PDS wirklich die SED wäre, würde sie im Osten nicht wachsende Akzeptanz erfahren. Das hieße ja, den Leuten zu unterstellen, sie wollen zurück zur SED. Das ist Blödsinn. Die sehen vor Ort, was sich bewegt. Und deshalb schlagen im Osten all diese Kampagnen fehl. Und im Westen werden sie auch nicht ewig zünden. Interview: Holger Kulick