Deutscher Schäferhund in Seide

Eine Ausstellung über chinesische Erfindungen wirbt um Anerkennung für das Reich der Mitte – Gegenwartsassoziationen etwa durch elektrische Schlagstöcke werden vermieden  ■ Constanze v. Bullion

Das Rezept war simpel, der Effekt umwerfend. Holzkohle, Salpeter und Schwefel rührten chinesische Alchimisten im 3. Jahrhundert v.Chr. zusammen. Einen Zaubertrank fürs ewige Leben wollten sie brauen. Doch das Experiment mißglückte, die Mixtur ging hoch. Erst als der Rauch sich gelegt hatte, dämmerte den Meistern der Schwarzkunst, was sie entdeckt hatten: das Schießpulver.

„China – Wiege des Wissens. 7000 Jahre Erfindungen und Entdeckungen“ heißt die Ausstellung, die letzte Woche im Bechsteinhaus am Moritzplatz eröffnet wurde. Passend zum Kanzlerbesuch im Fernen Osten will Ausstellungsleiter Wolfgang Arlt mit über 400 Exponaten die „historische Überlegenheit chinesischer Technologie“ vorführen, die von den Europäern „in überheblicher Geringschätzung mißachtet“ wurde.

Von einer „neuen Seidenstraße“ für den „kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Ost und West“ träumt Zhang Taichang, Direktor des Pekinger Museums für Wissenschaft und Technik, das mit der China Association for Science and Technology die Ausstellung sponserte.

Werbekampagne hin oder her, die „Erlebnisausstellung“ ist ein kultureller Abenteuertrip. Wer sich durch die Medizinkräuter einer chinesischen Apotheke schnuppern will, darf seine Nase in die Schubladen eines sorgsam beschrifteten Holzschrankes stecken. Wer sich in den mühseligen Arbeitsalltag eines chinesischen Landarbeiters versetzen möchte, zerrt an der Kurbel einer Kettenpumpe, die zur Bewässerung der Reisterrassen diente. Und wen interessiert, womit Kaiserkinder spielten, der kann an den Griffen eines kleinen Wasserbeckens rubbeln, bis das bronzene Ungetüm losheult und sich eine „stehende Welle“ auftürmt.

Wie beim Weihnachtsmarkt im KaDeWe präsentieren adrett gekleidete Künstler aus der Volksrepublik altes Kunsthandwerk, malen traditionelle chinesische Aquarelle, schneiden Siegel oder produzieren Seidenbrokat an einem überdimensionalen Webstuhl. Aus einem tiefen Holzbottich schöpft der Sohn einer Papiermacherfamilie eine Brühe aus Bambus und Wasser, gießt sie auf ein Sieb und schichtet sie zum Pressen auf.

Die Erfindung des Papiers schreibt die Legende dem Eunuchen Cai Lun zu, der im 2. Jahrhundert n.Chr. im Palast des Kaisers lebte. Über Japan, Korea und Arabien breitete sich die Herstellung des kostbaren Materials aus gewässerter Baumrinde, Hanf und Leinenlumpen langsam bis nach Europa aus. Den Durchbruch im mittelalterlichen Deutschland aber brachte erst die Verbreitung der Druckerpresse.

Gutenbergpresse war nur ein zweiter Aufguß

Ob der Mainzer Goldschmied Johannes Gutenberg 1450 tatsächlich glaubte, den Buchdruck erfunden zu haben, wird wohl niemand mehr herausfinden. Schon über 3.000 Jahre vor ihm hatten die Chinesen begonnen, Seidenstoffe zu bedrucken. Aus dem 8. Jahrhundert stammt der älteste chinesische Drucktext, eine buddhistische Sharani-Sutra. Noch mal 400 Jahre später hatte der Chinese Bi Sheng dann den Druck mit beweglichen Lettern entwickelt. Gutenbergs Epochen-Entdeckung war nur ein zweiter Aufguß. Jahrhundertelang vergessenes Wissen zeigt auch die Abteilung Medizin. 49 Zungen, die mit häßlichen Blasen, Pickeln und Belägen übersät sind, strecken sich den Besuchern gleich am Eingang entgegen. Zur Diagnostik der ganzheitlichen chinesischen Medizin gehört neben der Anamnese auch die Prüfung von Puls, Gesichtsausdruck und Mundgeruch. Schon im 3. Jahrhundert v.Chr. behandelten chinesische Ärzte ihre Patienten mit Akupunkturnadeln, doch erst die Lehren von Mao Zedong führten zur Wiederentdeckung der traditionellen Heilkunst, der derzeit im Völkerkundemuseum auch eine eigene Ausstellung gewidmet ist (taz vom 3.11.).

Endgültig verlorengegangen ist dagegen die Gebrauchsanweisung für einen Seismographen, bei dem ein Resonanzpendel Kugeln aus Drachenmäulern rollen ließ und damit Erdbeben orten konnte. Und aus der Mode gekommen war bei chinesischen Seefahrern lange Zeit auch der Trockenkompaß, den sie im 17. Jahrhundert auf holländischen Schiffen wiederfanden. Schon im 3. Jahrhundert v.Chr. hatten chinesische Geomanten auf einer Bronzeplatte einen Löffel aus Magneteisenstein befestigt, der sich von allein nach Süden ausrichtete. Eine bahnbrechende Entdeckung für die expandierende chinesische Kriegsflotte.

Von der pulvergetriebenen Zweistufenrakete „Wilder Wasserdrachen“ und dem Geschoßwerfer „Hornissennest“ abgesehen, vermeiden die Aussteller gewissenhaft jede kriegerische Assoziation, die den Besucher an die Gegenwart im Reich der Mitte erinnern könnte. Ganz verzichtet wurde freundlicherweise auf chinesische Erfindungen des 20. Jahrhunderts: Daumenschrauben und elektrische Schlagstöcke zur Behandlung politischer Gefangener liegen nicht in der Vitrine.

Wie die chinesische und deutsche Seele in Zukunft zusammenfinden können, demonstriert schließlich ein Kunstwerk der ganz besonderen Art: ein deutscher Schäferhund, handgestickt in chinesischer Seide.

„China – Wiege des Wissens“, bis 25.2. 1996, Di.–So. 10–19 Uhr, Bechsteinhaus, Prinzenstraße 85