: Es kann auch an Hamann liegen
Beim 4:1 über Benfica Lissabon bestätigt sich, daß viele Gute ein gutes Bayern-Team ergeben können – wenn der Gegner schwächelt ■ Aus München Werner Steigemann
Weit über 30 Jahre zurück liegt Benfica Lissabons Gewinn des Europapokals der Landesmeister. 1961/62 war das, damals noch mit Eusebio. Die große Zeit Benficas waren die sechziger Jahre, die der Bayern die frühen Siebziger. Heute verlieren sich beide Vereine in Tagträumen von der einstigen Herrlichkeit – und müssen, weil selbst zu Hause andere besser sind, im UEFA-Cup spielen. Und doch unterscheiden sie sich fundamental. Benfica, benannt nach einem Lissaboner Stadtviertel, kämpft mit ständigen Finanzkrisen, verlor dadurch viele Gute und muß derzeit mit unerfahrenen Spielern neu beginnen.
Erklärt sich Bayern-Trainer Rehhagel zu einem Experten, der wenig Rücksicht auf die Sensibilität seiner teuren Untergebenen nehmen kann, so möchte der kommode Mario Wilson auf das Seelenleben und das Zuneigungsbedürfnis seiner Spieler eingehen. Muß er, Benfica kann sich keine überbezahlten Stars leisten. Die Bayern hingegen wollen mit zusammengewürfelten guten Fußballspielern den sehnlichst gewünschten internationalen Ruhm herbeizaubern.
Erfolgreich waren sie beide bisher nicht. Nimmt man den eiskalten Mittwochabend zum Maßstab, sind die Münchner diesem Ziel erheblich näher, trotz des gestörten Verhältnisses der Spieler zu Rehhagel, trotz des Obergurus Beckenbauer und wahrscheinlich wegen des vielen Geldes in den Kassen.
Einer, der schwäbisch rechnen kann, ermöglichte, daß dieser Abend den Bayern nicht jämmerlich geriet wie einer ihrer Bundesligaauftritte. Jürgen Klinsmann wetzte über den Rasen, als würde er nach zurückgelegten Kilometern bezahlt. Und er kam auch noch seiner ureigensten Aufgabe nach, dem Toreschießen. Ein anderer, meist auffallend durch dumme Sprüche, ließ vergessen, daß bei den Bayern das Mittelfeld sich sonst nur als Chaos präsentiert: Mehmet Scholl. Warum diese beiden so ausgezeichnet agierten, dafür gäbe es viele Erklärungsmöglichkeiten. Eine wäre, daß Andreas Herzog nicht mitspielen durfte. Oder lag es an der neuen Rolle von Strunz, der sich, befreit vom Liberoposten, im defensiven Mittelfeld wiederfand? Es könnte natürlich auch an Hamann gelegen haben, einem unüblich bescheidenen Kerl, der sowohl verteidigte als auch die Bälle verteilte.
Die Anhänger selektiver Wahrnehmung, von denen es viele gibt in der Stadt München, lächeln freilich nur über solche Mutmaßungen. Für sie ist klar: Eine Gestalt war es, die neben Klinsmann alles zum Guten wendete – Lothar Matthäus. Gleich einem großen fränkischen König – Kaiser geht ja nicht – schloß der die zerstrittenen Reihen. Er rannte, kämpfte dem Gegner den Ball ab und schlug manchmal weite Pässe. Fast alle waren sich einig: Matthäus' Ausstrahlung (Rehhagel), sein Mitreißen, seine Integrationskraft (Scholl) und seine Vorbildfunktion (Klinsmann), formten ein bisher orientierungsloses Team zu einer Einheit.
Leider kann sich der Skeptiker mit solchen Erklärungsmodellen nicht anfreunden. Es war nämlich Klinsmann, der so spielte, als ginge es bei einer WM gegen die holländische Nationalmannschaft, es war Scholl, der mit Hamann für hiesige Verhältnisse oft genial vorbereitete. Und es war auch Matthäus mit Hilfe von Strunz, der den Willen zum Kampf wiederbrachte. Aber es war natürlich auch Glück. Alle vier Tore von Klinsmann entsprangen Fehlern Benficas. Außerdem übertrafen die Portugiesen sich an Unvermögen bei ihren klaren Torchancen. Allein Dimas konnte nach einer Kopfballvorlage von Strunz den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielen.
Dabei besitzen sie einen Spieler in ihren Reihen, dem zuzuschauen ein Genuß ist: Kapitän João Pinto. Der Mann besitzt Spielübersicht und mehr Ballgefühl als die meisten Bundesligaspieler. In der ersten Hälfte dribbelte er gleich dreimal die Bayernabwehr schwindlig. Er war auch der einzige, der sich gegen die Niederlage stemmte.
Deren Berechtigung erkannte auch Benficas Trainer Wilson an. Der Sieg der Bayern sei gerecht gewesen, sagte der. Weil nämlich – aufgepaßt! – viele Stars, wenn sie harmonieren, ein gutes Team ergäben. Das stimmt. Aber wie bringt man sie zum Harmonieren? Dadurch, daß „interne Probleme“, wie geschehen, mittels „Aussprache“ ausgesprochen – und gelöst werden. Sind sie also nun gelöst? Zu diesen „internen“ Schwierigkeiten der Mannschaft hat freilich Otto Rehhagel nichts zu sagen. Eben weil die „intern“ sind. Nur etwas Externes in Richtung Franz Beckenbauer, der gesagt hatte, auch Rehhagel müsse „wissen, auf was er sich in München eingelassen hat“. Stimmt, sagt der. Aber: „Die müssen auch wissen, wen sie verpflichtet haben.“ Da dies geklärt ist, hat nun das nächste Wort wieder der Präsident.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen