Großserbien, Normandie etc.
: Glaubt nicht an Hamburger

■ Emir Kusturica antwortet auf Alain Finkielkrauts Kritik an seinem neuen Film mit einem nicht unlarmoyanten Szenario

In der Le Monde vom 2. Juni, nachgedruckt in der taz vom 8. Juni 1995 hatte der französische Philosoph Alain Finkielkraut den Filmemacher Emir Kusturica, dessen Film „Underground“ gerade in Cannes vorgestellt worden war, einen Betrüger geheißen. In seiner Polemik hatte Finkielkraut Kusturica anhand einiger Texte (nicht Filmzitate) unterstellt, sich die Argumentation der (serbischen) „Blutsauger und Belagerer“ zu eigen zu machen, letztlich „geschwätzig und verlogen“ serbische Propaganda zu illustrieren. Zu dieser Propaganda gehöre nicht zuletzt die den Deutschen zugedachte Rolle der ewigen Profiteure des Konflikts, die Slowenien, Kroatien und Ungarn zu ihren Satellitenstaaten machen wollten. Während allerorts von Großserbien die Rede sei, plädiere Kusturica dafür, dann auch von „Großdeutschland“ zu sprechen, welches doch schließlich achtzig Millionen Einwohner habe.

In einer Replik in Le Monde vom 26. Oktober, die gleich bekennt, keine sein zu wollen, hat der solchermaßen Bezichtigte sich aller Anschuldigungen entschlagen. „Alle meine Filme sind aus dem Zweifel geboren, denn wenn das nicht so wäre, würde ich längst in Amerika leben und Filme für das Box-Office machen. Aber der Glaube daran, daß es noch einen Unterschied zwischen Filmen und Hamburgern gibt, zwingt mich dazu, hier in der Normandie zu leben.“

Es sind arme Menschen. Godard muß am Lac Léman leben, Kusturica in der Normandie, zynisch und menschenverachtend ist das.

Wenn man ihn aber partout durch Gerüchte zerstören wolle, so Kusturica, so biete er seine Hilfe an, schließlich sei er auch Szenarist und könne sowas. Aus diesem Szenario läßt sich tatsächlich trefflich herauslesen, wie Kusturica seine Filme baut. Also, erste Szene: Ein Journalist und ein Fotograf schleichen sich auf sein, Kusturicas, bescheidenes Anwesen und stoßen auf eine Falltür unter dem Perserteppich. Im Keller treffen sie auf eine Gruppe von Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die dort in Hunger und Kälte vor sich hin vegetieren müssen. Sie nennen es die Hölle von Milošević. Kusturicas Sohn steht derweilen mit einem großen Schlachtermesser zwischen den Zähnen dabei und treibt die jungen Flüchtlinge zu militärischen Übungen an. Ziel der Aktion: Die Normandie soll ein Teil Großserbiens werden. Das Manöver der Familie Kusturica mit den Flüchtlingen enthält folgende drei Stufen: 1. Angriff, 2. Genozid 3. Elimination des multiethnischen Bosnien durch Verbrennung aller Partisanen.

Zweite Szene : Blutrot geht die Sonne unter. Kusturica und seine Frau verteilen serbisches Propagandamaterial an arme Bauern, Arbeiter und Schulkinder. Auf die Veröffentlichung des Artikels von Alain Finkielkraut durch Le Monde rottet sich ein „Mob der französischen Humanisten zusammen, der mich lynchen will“. Währenddessen entzündet die Familie Kusturica zu Wagnerklängen das Feuer, in dem die bosnischen Partisanen brennen sollen. Derweilen schreibt Kusturica in Le Monde, seine Frau habe ihn gezwungen, die Wahrheit über Milošević zu verschweigen. Dann aber wird Kusturica vor ein Tribunal gezerrt, vor dem er widerrufen soll. Le Monde hat getitelt: „Fellinis Erbe, der Hauptschuldige der ethnischen Säuberung.“

Und so weiter. Was offiziell als osteuropäische Ironie durchgehen soll, trieft vor Selbstmitleid und strotzt vor Ressentiments. Hängenbleiben soll vor allem der Vergleich mit Fellini, will sagen: Ich Künstler, ich Zweifler, ich unbequemer Mahner, ich nix Politik. mn