Unübertroffen, Dr. Kinkel!

■ Deutsche Realpolitik versus Menschenrechte

Klaus Kinkel, der Außenminister, läßt gegenwärtig keine Sackgasse aus. Nach der gescheiterten Bonner Islam- Konferenz und nach dem peinlichen Truppenbesuch in China stand gestern die Zollunion mit der Türkei auf der Tagesordnung. In allen drei Fällen geht es um die Menschenrechte, und in allen drei Fällen zeigt Kinkel, daß er kein Konzept hat, um mit ihnen umzugehen. „In Menschenrechtsfragen“, so einer der mittlerweile berühmt-berüchtigten Kinkel-Sätze, „lasse ich mich von niemandem übertreffen.“ Wer sich auf so ein hohes Roß setzt, ist in ständiger Absturzgefahr.

Wenn dann aber, wie zuletzt in dieser Woche, der selbsternannte Kämpfer für die Menschenrechte im Gespräch mit regierungsunabhängigen Organisationen nichts anderes anzubieten hat als „stille Diplomatie“, droht er sich selbst lächerlich zu machen und den potentiellen Einfluß der Bundesrepublik zu desavouieren.

Es liegt auf der Hand, daß ein Land von der Größe und dem Einfluß Chinas sich mit der Bundesrepublik auf keinen Menschenrechtshandel einlassen wird. Wer wie die Bundesregierung dennoch in China Geld verdienen will, soll gefälligst nicht so tun, als könne man damit auch gleich noch ein paar Dissidenten freikaufen. Schwieriger ist da schon der Umgang mit dem Iran. So gleichgültig den iranischen Machthabern die Menschenrechte auch sein mögen, der deutsche Einfluß in Teheran ist zweifellos ungleich größer als in Peking. Was Kinkel durch seine allseitige Verwendung als außenpolitisches Instrument bereits unglaubwürdig gemacht hat, könnte in Teheran ja tatsächlich nützen: stille Diplomatie. Solange die Mullahs nach außen ihr Gesicht wahren können, dürfte ihnen das ausgezeichnete Verhältnis zu Bonn schon das eine oder andere Zugeständnis wert sein.

Was in Teheran in einigen Fällen richtig sein kann, gilt aber nicht gleichermaßen gegenüber Ankara. Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist so eng, daß stille Dipomatie nichts anderes als aktive Komplizenschaft darstellt. Anders als China und der Iran will die Türkei Mitglied der EU werden. Kritik darf in diesem Fall nicht auf Hinterzimmer beschränkt bleiben, Menschenrechtsverletzungen müssen öffentlich geahndet werden. Solches Vorgehen setzt allerdings ein Mindestmaß an Aufrichtigkeit auf seiten der EU-Staaten voraus. Wer Menschenrechtsverletzungen nur anprangert, um die Türkei aus ganz anderen Gründen aus Europa herauszuhalten, wird kaum auf offene Ohren treffen. Jürgen Gottschlich