Nele, ich beame dich

■ Hörgeschädigte kommunizieren mit dem „Magic Diary“

Mit aller Wucht haut Lehrer Dieter Freter mehrmals seine Hand aufs Pult. Zehn SchülerInnen gucken hoch, nicht einmal erschrocken. Sie wissen, Herr Freter wird jetzt nicht losbrüllen, er hat hat ihnen lediglich ein Zeichen gegeben. Es bedeutet: Herschauen!

Wenn der Lehrer auf den Tisch haut, werden die tiefen Frequenzen des Schalls durch die Luft auf die Körper der Kids übertragen. So verstehen die hörgschädigten SchülerInnen, was Herr Freter will. Gestern klopfte er ziemlich häufig, denn die neunte Klasse der Schule an der Marcusallee hatte Besuch von der Casio Computer Co. GmbH, genauer, von Marion Menken, Casios Frau für Public Relations. Ihr vorweihnachtliches Geschenk war für die Kids von großem Interesse: 20 „Magic Diaries“ – elektronische Notizbücher, die speziell für Kinder konzipiert wurden. Sie enthalten allerlei Spiele, eine Notiz-, und Währungsumrechenfunktion, ein Telefonverzeichnis und ein Adressenregiste.

Der Clou des Gerätes aber liegt in seinem „Magic Beam“. Der macht es möglich, über eine Infrarot-Schnittstelle Nachrichten an ein anderes Gerät zu senden. Schreibt also Timo ein „Nele, ich liebe dich“ in sein Gerät und peilt mit dessen Auge, ähnlich einer Fensehfernbedienung, das von Nele an, so erscheint das heiße Werben auf ihrem Display. Und zwar mit absoluter Priorität, selbst wenn Nele gerade dabei ist, eine dringende Nachricht an Rita zu tippen. Allerdings muß Timo sich kurz fassen, das „Magic Diary“ faßt nur vier Zeilen.

Solcherlei Romantik aber spielt bei den ersten Beam-Versuchen der seit Jahren computer-versierten NeuntklässlerInnen keine Rolle. Schließlich sitzen hier neun Jungens nur einem Mädchen gegenüber. Das liegt daran, erklärt Lehrer Freter, daß circa 70 Prozent aller Hörgeschädigten männlichen Geschlechts sind. Kein Wunder also, wenn in Klasse neun der Fußball dominiert. Neben den Ergebnissen der vergangenen Spiele kreist immer wieder die Gewißheit „Werder wird Meister“ durch die magischen Augen der taschenrechnergroßen Geräte.

Nach Bayern ließe sich diese Warnung nicht schieben. Die Reichweite eines „Magic Diary“ beträgt etwa 10 Meter, zwischen denen keine Wand liegen darf. Für den Klassenraum demnach bestens geeignet, besonders fürs Schummeln bei Klassenarbeiten. Den Hörgschädigten freilich kann es darüber hinaus eine große Hilfe sein, wenn sie etwa mit Menschen kommunizieren wollen, die ihre Zeichensprache nicht verstehen. Ein richtiges Schreibtelefon ist nicht nur zu groß für die Jackentasche, sondern mit 2.500 Mark auch recht teuer.

Die Kids finden es daher schade, daß die 20 Geräte in der Schule bleiben müssen. Bei der Frage, wer gerne privat ein „Magic Diary“ hätte, gehen zehn Finger in die Luft. Ebenso schnell jedoch sacken die Schultern zusammen, als die SchülerInnen den Preis hören: 149 Mark, und schließlich braucht man zum Kommunizieren immer zwei Geräte. Doch da weiß Frau Menken Rat: „Lassen Sie sich das doch zu Weihnachten schenken!“ dah