„Wir haben jetzt den Rücken frei“

■ Lafontaines Wahl hat die SPD in Schwerin gestärkt, doch noch weiß sie nicht, wie diese Stärke zu nutzen ist

Seit die SPD auf dem Mannheimer Parteitag Oskar Lafontaine zum neuen Vorsitzenden gekürt hat, blicken alle politischen Beobachter nach Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich könnte sich das nördlichste der neue Bundesländer zu einem Testfeld für Bonn entwickeln, wenn Lafontaine dort 1998 eine Mehrheit für das linke Lager anpeilen will. Vor einem Jahr noch hatte Rudolf Scharping den Landesvorsitzenden der SPD- Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, zurückgepfiffen, als dieser, sei es aus taktischen Gründen oder sei es, um tatsächlich die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten, das Gespräch mit der PDS gesucht hatte.

In jedem Fall allerdings ließ sich die SPD nur unwillig auf das Bündnis mit der CDU ein. Und das Klima in der Großen Koalition ist schlecht. Harald Ringstorff läßt kaum eine Gelegenheit aus, um sein kühles Verhältnis zum CDU- Ministerpräsidenten Berndt Seite öffentlich zu demonstrieren.

Dreimal hat die SPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg- Vorpommern in den letzten beiden Monaten mit der PDS-Opposition gestimmt und so den Koalitionspartner CDU düpiert, zuletzt vor vierzehn Tagen. Da hatte die SPD im Schweriner Landtag zusammen mit der PDS im Sozialbereich die Teilaufhebung der Haushaltssperre gefordert. CDU und SPD warfen sich gegenseitig den Bruch der Koalitionsvereinbarung vor.

„Jetzt haben wir den Rücken frei“, frohlockten Mecklenburg- Vorpommerns Sozialdemokraten nach dem Mannheimer Parteitag. Von dem Sturz Scharpings war auch Harald Ringstorff vollkommen überrascht, hatte er sich doch schon damit abgefunden, die Große Koalition nicht verlassen zu können. Jetzt kann Scharping nicht mehr ständig anrufen und ihn mahnen, nicht mit der PDS zu flirten. Endlich scheint die PDS-Option mehr als eine fiktive Alternative, doch daß die SPD zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Große Koalition verlassen könnte, weisen alle führenden Sozialdemokraten in Schwerin weit von sich. Für den Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Gottfried Timm, ist eine andere Regierung „derzeit kein Thema“, selbst wenn er es für normal hält, daß seine Partei weiter mit der PDS redet. Und wenn sich die CDU weigere, vertrauensvoll mit der SPD zusammenzuarbeiten, dann würden die Sozialdemokraten auch in Zukunft im Landtag von Zeit zu Zeit mit der PDS stimmen. „Unsinnige Entscheidungen“, so Timm, „werden wir auch in Zukunft nicht mittragen.“

In den Gängen des Landtages wird reichlich spekuliert. Über das „israelische Modell“ zum Beispiel, das heißt den Wechsel des Ministerpräsidenten zur Hälfte der Legislaturperiode, über den Bruch der Koalition Anfang kommenden Jahres oder erst Ende 1997, über den mangelnden Mut des SPD- Vorsitzenden.

Doch bevor Harald Ringstorff den Bruch wagen könnte, müßte er zunächst seine eigene Partei hinter sich bringen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Rainer Beckmann, hat bereits öffentlich erklärt, er würde aus der SPD austreten, wenn diese sich in irgendeiner Form auf eine Zusammenarbeit mit der PDS einlassen würde. Im Landtag soll, so heißt es darüber hinaus, eine Liste mit etwa fünf bis sieben Namen von SPD- Landtagsabgeordneten zirkulieren, die ähnlich wie Beckmann denken. Und die einflußreichen SPD-Oberbürgermeister von Schwerin und Wismar warnen Ringstorff eindringlich vor dem Ausstieg aus der Großen Koalition.

Auch die PDS treffen die derzeitigen Diskussionen vollkommen unvorbereitet. Die PDS- Fraktionsvorsitzende Caterina Muth verbittet sich mit einem Seitenhieb auf Gregor Gysi jede Einmischung aus Bonn. Ob bzw. unter welchen Bedingungen die PDS in Mecklenburg-Vorpommern eine SPD-Regierung toleriere, entscheide man alleine. Aber der Landesvorsitzende Helmut Holter ist sich sicher, daß an der PDS eine Tolerierung eines SPD-Ministerpräsidenten nicht scheitern würde. Allerdings stellt sich auch die PDS-Fraktion darauf ein, daß alles zunächst so weitergeht wie bisher. Allerdings will er die kommenden Monate dazu nutzen, in seiner Partei eine inhaltliche Debatte über die „notwendigen politischen Veränderungen“ in der Landespolitik zu diskutieren. Denn bislang habe seine Partei wenig darüber nachgedacht, welche Konsequenzen sich für die PDS aus einer möglichen neuen politischen Rolle ergeben könnten.

Heute berät sich Oskar Lafontaine in Bonn mit den ostdeutschen SPD-Landesvorsitzenden, am 29. November trifft er sich in Saarbrücken mit Gysi, bevor dieser schließlich am 14. Dezember zu Harald Ringstorff nach Schwerin kommt. Anschließend, so mutmaßen diejenigen Sozialdemokraten in Schwerin, die lieber heute als morgen aus der Großen Koalition aussteigen würden, sehe die Welt schon ganz anders aus. Christop Seils