In Frankreich beginnen Tage des Streiks

Heute legen die Beamten und die Anhänger der Gewerkschaft CGT die Arbeit nieder. Nächste Woche sind die Sozialdemokraten dran. Die Studenten kämpfen weiter um mehr Geld  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Kein Reinkommen, kein Rauskommen und kein Weiterkommen ist heute in Frankreich zu erwarten. Mindestens 24 Stunden lang wollen sie streiken: die rund fünf Millionen Beamten, die Eisenbahner, das Personal der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe und der Flughäfen sowie zahlreiche andere Arbeiter und Angestellte. Damit protestieren sie gegen den rigorosen Sparplan zugunsten der hoch verschuldeten Sozialversicherung ebenso wie gegen das radikale Sanierungsvorhaben für die französische Eisenbahn.

Organisiert wird der Streik von den Beamtengewerkschaften und der kommunistischen CGT. Unterstützt wird er von zahlreichen Studenten, die ihrerseits seit Tagen für mehr Geld für die Universitäten kämpfen. Geschwächt wird er durch die beiden anderen großen – eher sozialdemokratischen – Gewerkschaften: Die FO-Führung will in der kommenden Woche (am 24. November) die Arbeit niederlegen lassen. Und die CFDT-Führung will überhaupt keinen Streik – sie hat den Sparplan der Regierung ausdrücklich begrüßt.

Die fünf Millionen französischen StaatsdienerInnen fürchten um ihre Privilegien. Regierungschef Alain Juppé hatte vor zwei Wochen angekündigt, daß Beamte künftig für ihre Renten ebensolange beitragspflichtig arbeiten müssen wie in der Privatwirtschaft tätige Franzosen – 40 statt bislang 37,5 Jahre.

Weitere Sparmöglichkeiten auf Kosten des öffentlichen Dienstes deutete Juppé nur an – darunter die Anhebung der Rentenbeiträge und die Berechnung der Renten auf Grundlage des Einkommens der letzten 25 Dienstjahre statt wie bisher der letzten sechs Dienstmonate. Festlegen wollte er sich aber noch nicht.

Die 180.000 Eisenbahner Frankreichs streiken darüber hinaus, weil im nächsten Monat ein Entschuldungsplan unterzeichnet werden soll, der viele Arbeitsplätze kosten wird. Bis ins Jahr 2000 will die Bahn ihr derzeitiges Defizit in Höhe von 175 Milliarden Franc (knapp 53 Milliarden Mark) abbauen, indem sie vor allem Strecken stillegt und Löhne einfriert.

Die CGT, die mitgliederstärkste Gewerkschaft Frankreichs, ruft zum Streik auf, weil sie den Sparplan Juppés zur Sanierung der Sozialversicherung ungerecht findet. Diese ist mit rund 230 Milliarden Franc (knapp 70 Milliarden Mark) verschuldet. Die Regierung will, um die Kosten der medizinischen Versorung zu senken, Ärzte und Patienten stärker kontrollieren und alle Franzosen – mit Ausnahmer der sozial Schwächsten – mit einer zusätzlichen, 0,5 Prozent hohen Steuer belasten.

Die Studenten der 90 französischen Universitäten sind bereits seit Anfang der Woche auf der Straße. Sie fordern eine Finanzspritze von 2 Milliarden Franc (580 Millionen Mark) für die Universitäten, an denen es an Lehrpersonal, Unterrichtsräumen und sogar an Stühlen und Bänken fehlt.

Nachdem am Dienstag landesweit rund 100.000 Studenten demonstriert hatten, signalisierte Erziehungsminister François Bayrou die Bereitschaft, rund 58 Millionen Mark locker zu machen und eine „große Debatte“ über die Zukunft der Hochschulen zu beginnen. Die Studentengewerkschaften kündigten daraufhin einen neuerlichen Aktionstag für den 30. November an. Gestern besetzten Studenten die Rektorate mehrerer französischer Universitäten. Heute wollen sie sich an einzelnen Streikaktionen beteiligen.

Zum zweiten Mal in diesem Herbst wird Frankreich damit heute stillstehen. Neben den Transportbetrieben werden auch die meisten Krankenhausabteilungen, die Post, die Telecom, die Arbeitsämter und ein Teil der Polizei von dem Streik betroffen sein. Zeitungen wird es wegen des Streiks der Drucker auch nicht geben.

Die Mehrheit der Franzosen reagierte gestern gefaßt auf das bevorstehende Großereignis. Die unvermeidlichen Meinungsforscher ermittelten, daß die Streikenden die Sympathie der Mehrheit ihrer Landsleute hinter sich haben.

Dennoch zeigt sich die Regierung nicht beunruhigt angesichts der massiven Proteste gegen ihr erstes großes Reformprojekt. Juppé und seine Minister warten die Kraftprobe erst einmal ab. Sie schauen zu, wie die militante Basis der CFDT den Rücktritt ihrer Vorsitzenden Nicole Notat verlangt, die den Juppé-Sparplan begrüßt hat, wie der Chef der FO, Marc Blondel, es ablehnt, zusammen mit der CGT zu streiken, und wie die Studenten, die nach Ansicht aller Beteiligten dringend zusätzliche Mittel benötigen, zwischen Hochschulbesetzungen und der Vorbereitung auf ihre Examen hin- und hergerissen sind.