Die Asylpraxis ist besser als ihr Ruf

Bei der Asylanhörung des Verfassungsgerichts erwiesen sich die Rechtsschutzdefizite bei Drittstaaten- und Flughafenregelung geringer als befürchtet. Immerhin gibt es das „kleine Asylrecht“  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Die Mehrheit aller Flüchtlinge, denen es gelingt, die deutschen Außengrenzen auf dem Landweg zu überwinden, erhalten doch ein Asylverfahren in Deutschland. Dies wurde am Mittwoch abend deutlich, als das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nach rund 15stündiger Verhandlung die umstrittene Drittstaatenregelung des neuen Asylrechts zum Abschluß brachte. Zur Anwendung kommt bei diesen „Drittstaatenflüchtlingen“ allerdings nicht das „normale“ Asylverfahren, denn dies ist automatisch ausgeschlossen, wenn der Flüchtling zuvor einen sicheren Drittstaat passiert hat. Nach wie vor sieht das Ausländergesetz (§51) aber ein „kleines Asylrecht“ vor. Mit dieser Bestimmung wird die Genfer Flüchtlingskonvention umgesetzt. Tatsächlich entscheidet aber auch hier das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach denselben Kriterien wie beim Asylrecht.

Auch die Anerkennungsquoten im „kleinen Asylverfahren“ bewegen sich je nach Herkunftsland in demselben Rahmen wie beim „normalen“ Verfahren. Anders ist allerdings der für den Flüchtling erreichbare Rechtsstatus. Im Falle der Anerkennung erhält er hier keinen unbegrenzten Aufenthaltsstatus, weniger Sozialleistungen, und auch die Familienzusammenführung ist ausgeschlossen.

Nach Schätzung von Flüchtlingsanwalt Marco Bruns kommen auf diese Weise doch noch rund 85 Prozent der über einen Drittstaat eingereisten Flüchtlinge in den Genuß eines Asylverfahrens. Dies steht im krassen Gegensatz zur Intention der Drittstattenregelung des Grundgesetzes.

Naheliegend ist der Umweg über das Ausländergesetz, wenn ein Asylbewerber Angaben zu seinem Reiseweg verweigert oder ihn tatsächlich nicht kennt, etwa weil er in einem geschlossenen Lieferwagen transportiert wurde. Denn um den Flüchtling abschieben zu können, müßte man auch wissen, wohin. Die umliegenden Drittstaaten erklären sich jedoch für unzuständig, schließlich werden sie in solch einem Fall nicht konkret als Transitstaat identifiziert. Gegen die Anwendung von Paragraph 51 Ausländergesetz hat in diesen Fällen auch Kay Hailbronner, der Rechtsvertreter der Bundesregierung, nichts einzuwenden. „Tatsächlich“, so berichtet Flüchtlingsanwalt Helmut Becker, „wird die Bestimmung häufig aber auch dann angewandt, wenn die Reiseroute des Flüchtlings bekannt ist.“

Das Hauptproblem der Drittstaatenregelung liegt derzeit jedoch an den deutschen Außengrenzen. Dort werden alle aufgegriffenen Flüchtlinge sofort wieder zurückgewiesen. Schlepperorganisationen werden aus diesem Grund immer wichtiger. „Noch schlimmer“, so Rechtsanwalt Marco Bruns, „ist es aber auf den Flughäfen. Hier werden viele Flüchtlinge häufig direkt in den Verfolgerstaat zurückgeschickt, und zwar unter dem Vorwand, daß sie bei einem Flugzeugwechsel auf der Reise nach Deutschland kurze Zeit in einem Drittstaat sicher gewesen seien.“ Die Anwälte fordern die Anwendung des „kleinen Asyls“ auch in diesen Fällen.

Auf dem Luftweg eingereiste Flüchtlinge, denen kein Drittstaat angedichtet werden kann, kommen in das umstrittene „Flughafenverfahren“ mit seinen extrem kurzen Fristen und der teilweise monatelangen Unterbringung im Schatten des Airporttowers. Doch auch hier ergab die gestern fortgesetzte Anhörung vor dem Verfassungsgericht Erfreuliches. Nur bei 197 von rund 2.300 Flüchtlingen, die 1994 das Flughafenverfahren in Frankfurt durchliefen, lautete der Bundesamtsbescheid „offensichtlich unbegründet“, allen anderen wurde nach durchschnittlich sechs Tagen die Einreise zum normalen Verfahren erlaubt. Immerhin 169 der 197 Flüchtlinge erhoben Klage beim Verwaltungsgericht. „Das ist doch ganz erstaunlich“, so Verfassungsrichter Klein, „daß sie angesichts der Umstände und der kurzen Fristen noch so ein Rechtsschutzniveau erreichen.“

Eine Mitarbeiterin des Asylbundesamtes räumte allerdings ein, daß diese Klagen ein „überobligatorisches Engagement“ der Anwälte und des Flughafensozialdienstes erforderten. Die Kläger machten geltend, daß Flüchtlinge mit „posttraumatischen Belastungen“ im Flughafenverfahren wegen dessen kurzer Fristen kein faires Verfahren erwarten könnten. Ein Experte für Folteropfer wies das Gericht darauf hin, daß zum Beispiel Frauen, die sexuelle Mißhandlungen erfahren hatten, frühestens vier Monate nach dem Erlebten überhaupt darüber sprechen könnten. Umstritten war außerdem, ob das Flughafenverfahren genügend Rücksicht auf die Sprachprobleme der frisch eingereisten AsylbewerberInnen nimmt. Erst nachdem ein Anwalt dem als „Auskunftsperson“ geladenen Bundesgrenzschutzbeamten Rippert die Vereidigung androhte, räumte dieser ein, daß den Flüchtlingen nicht in allen Fällen der gesamte Bundesamtsbescheid übersetzt werde.

Die aufwendige Behandlung der Drittstaatenregelung hatte dazu geführt, daß auch der gestrige Zusatztag für die mündliche Verhandlung nicht ausreichte. Das Gericht ordnete deshalb eine weitere Verlängerung der Anhörung an. Am 5. Dezember wird es in Karlsruhe weitergehen. In den letzten 30 Jahren hat es kein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben, für das soviel Aufwand getrieben wurde.