Im Namen der Dose

■ Getränke-Dosen vor der Bürgerschaft: demonstrieren für ein „dosenfreies Bremen“

Ein pestilenzartiger Geruch verbreitete sich gestern vor der Bürgerschaft. Scheppernd purzelten Tausende von leeren Beck's Bier Dosen auf das Pflaster. Vereinzelt waren auch zerknautschte Soft-Drink und Ravioli-Dosen darunter. Aber die Botschaft des BUND war klar: Der größte Getränkehersteller Bremens wurde auf dem Marktplatz für 100 Millionen produzierte Dosen im Jahr angeprangert.

Vor zwei Wochen hatte der Bremer Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit der Aktion „Bremen muß dosenfrei werden“ begonnen. Nachdem das Umweltbundesamt (UBA) eine Ökobilanz für Getränkeverpackungen durchgeführt hat, ist bewiesen, was zuvor lange vermutet wurde: Die Weißblech- oder Aluminiumdose hat hundertfach schlechtere Werte, als eine wiederverwendbare Glasflasche.

So fanden die fünf unabhängigen Forschungsinstutute (darunter das renommierte Fraunhofer-Institut) und das UBA heraus, daß eine produzierte Weißblechdose 170 Prozent mehr fossile Energieträger verbraucht, als eine Glasflasche für denselben Zweck. Der Treibhauseffekt ist gar 410 Prozent mal größer, Dosen tragen 250 Prozent mal mehr zur Versauerung des Bodens bei und blockieren 890 Prozent mehr Deponieraum. Die ForscherInnen in Sachen Öko-Bilanz stellten außerdem fest, daß Weißblech- und Aluminiumdosen 550 Prozent mehr Kernenergie verbrauchen, als Glas.

Die Alu- und Weißblechindustrie war schon vor Jahren wegen ihrer umweltverschmutzenden Produktionsweise ins Gerede gekommen. Allein die giftigen Rotschlämme, die Tonnenweise Luft und Boden verseuchen, erschreckten die Öffentlichkeit. „Ich war eine Dose“, verkündete daraufhin der Industrieverband in aufwendigen Anzeigenkampagnen. Dosen aus Weißblech und Aluminium seien hundertprozentig wiederverwertbar, suggerierten die Industriellen.

Theoretisch mag dies stimmen. Realiter recycelt das Duale System Deutschland (DSD) ganze elf Prozent Aluminium. Da Getränkedosen in den meisten Fällen aus Weißblech bestehen und nur der Ring und Deckel aus Alu ist, schmeißt der Magnet in der Sortieranlage die Dose auf den Haufen für den Hochofen. Dort werden die Metalle eingeschmolzen und können wieder verarbeitet werden. Nicht das Aluminium: Es überlebt die hohen Temperaturen im Ofen nicht und verzischt dort.

Das UBA bescheinigte der Aluminiumindustrie immerhin, daß 1993 25 Prozent des umweltschädigenden Stoff recycelt wurden. Das entsprach im selben Jahr der Quote für Mehrweg-Glasflaschen. Mit anderen Worten: Der Glasbruch von Mehrwegflschen konnte genausogut wiederverwertet werden, wie Alu. Einwegglas brachte es sogar auf stolze 60 Prozent.

Doch alle guten Argumente störten weder Industrie noch VerbraucherInnen. Der Siegeszug der Dose ist ungebrochen: Im ersten Halbjahr 1995 verbrauchten die Deutschen 23 Prozent mehr Halbliter-Dosen als im gleichen Zeitraum 1994. Laienpsychologen vermuten, daß es an dem unnachahmlich frischen Geräusch liegt, das beim Öffnen einer Dose entsteht. Die Dose umklammernde Männerhände mögen die gefühlvoll-weiche Knautschzone der Dose schätzen.

Oder es ist einfach nur der Preis. Dosenbier gibt es bereits ab 29 Pfennig. Kein Wunder, daß es gerade in den verarmten Nord- und Ostländern der Republik besonders geschätzt wird. In Bayern wissen BierttrinkerInnen was gut ist, und trinken 92 Prozent des Bieres aus Flaschen.

BremerInnen leeren 4.800 Dosen in der Stunde, 114.000 am Tag. Bernhard Langer vom BUND hat schon hunderte der 42 Millionen jährlichen Dosen unter Büschen oder in Naturschutzgebieten gesammelt. Vor der Bürgerschaft tanzte dann auch eine menschliche Dose im grünen Outfit mit dem Slogan „Ich bin Müll“. Und werde es auch bleiben, solange die feixende Flasche jauchzt: „Ich ersetze 100 Dosen“.

Der BUND fordert daher alle BremerInnen auf, der Brauerei Beck zu schreiben. „Wir fordern Sie auf, die Abfüllung und den Verkauf von Getränkedosen einzustellen“, steht auf den Karten, die es beim BUND gibt. „Richtig“, sagte eine Dame im Pelz gestern zu den UmweltaktivistInnen. Mit einem gezielten Tritt ihrer Pumps kickte sie ein Dose aus ihrem Weg.

Ulrike Fokken