Multikulti aus der Mikrowelle

■ „Ethnic Food“, der jüngste Trend der Lebensmittelbranche, schwappt in die Regale und verspricht asiatische Lebensart aus dem Brühwürfel

Rimini ist out. Ravioli sind vom Tisch. Sich eine Dose mit italienischen Teigtaschen warmzumachen, kann im Zeitalter der Fernreisen kaum mehr als exotisch gelten. Die aktuellen Nachfolge-Exoten heißen Chili con Carne und Bami Goreng, und sie verkaufen sich besser denn je, seit ein griffiger Slogan für die nachhaltige Lust der Deutschen auf Speisen anderer Kulturkreise gefunden wurde: „Ethnic Food“ schwappt in die Supermarkt-Regale. „Ethnic Food“, so heißt es in der Branche, „ist ein Megatrend der 90er Jahre“ – jetzt sind eben Mexiko und Thailand dran. Doch das Versprechen auf eine „authentische“ Küche hat in Deutschland enge Grenzen: „Ethnic Food“, das ist vor allem Fertigkost für den deutschen Allerweltsgaumen.

Wer sehen will, wohin die Reise geht, muß einen Blick in die Statistiken deutscher Reisebüros werfen. „Was die Leute in fremdländischen Küchen probiert haben, wollen sie eben auch nach Hause übertragen“, erklärt Rainer Schemenau vom Bremer Gewürzhersteller „Ubena“ den Trend. Weil es den deutschen Schnellköchen aber gar nicht fix genug gehen kann, bringen die Soßen-, Suppen- und Gewürzhersteller ihr „Ethnic Food“ vornehmlich als Fix-und-Fertig-Konzentrat auf den Markt – „asiatisches Lebensgefühl“, wie die Werbung verheißt, aus dem Brühwürfel.

Eben hat „Ubena“ zwei neue „Produktlinien“ in die Supermarktregale gehievt: die „Mexas-Range“ und die „Asian-Range.“ Ein fröhlich schnaubender Chinadrache ziert das Glas mit der „5-Gewürze-Mischung“ fernöstlicher Prägung. Geschäftsführer Schemenau, der selbst gern zum Kochlöffel greift, würzt damit Fisch und Hühnchen, wenn er's daheim mal ethnisch braucht. Viel dürfte dabei nicht anbrennen: „Ubena“ versteht seine Pulver als „Helferprodukte“ – „der Hausmann oder die Hausfrau kann sicher sein, daß es gelingt“, behauptet Rosi Fritz, die Produktentwicklerin des Hauses. Noch sicherer und vor allem rascher will die Konkurrenz das „Ethnic Food“ auf den deutschen Tisch bringen. „Maggi“ hat das Bami Goreng längst in seine 5-Minuten-Terrine gezwängt; die „chinesische Gemüsesuppe süß-sauer“ der Marke „Unox“ ist schon „in 10 Sekunden fertig – überall dort, wo man kochendes Wasser hat“. Eine Prise Multikulti, im Handumdrehen zubereitet – so versucht man, eine vornehmlich junge und zahlungskräftige Kundschaft zu gewinnen. Singles und Workaholics bevorzugt.

Künftig dürfte alles sogar noch fix und fertiger angeboten werden. Den „TK-Fertiggerichten“ spricht die Branche schließlich die größten Steigerungsraten zu – so hat es der Trendsetter „Nestlé“ in einer bereits 1993 veröffentlichten Studie über „Ethnic Food“ ermittelt. „Frosta“ bietet seine Version des Chili con Carne im Gefrierbeutel an, fertig zum aufbacken, das Kilo zu knapp 8 Mark. Da staunt der Mexikaner.

Nun wollen die deutschen Köche ihr Chili nicht nur schnell und sicher. Sondern: „authentisch“ – auch das weist die „Nestlé“-Studie aus. „Ethnic Food verlangt nach Echtheit“, heißt es dort. Aber „Ethnic Food“ verlangt auch nach Milderung. „Wenn ich den Leuten ein richtig scharfes indisches Curry auftische, dann springen die mir doch an den Hals“, weiß der Marketing-Direktor von McDonalds Deutschland, Jörg Paczewski. Bevor die Hamburgerkette ihre neuen, mexikanisch eingefärbten Buletten auf den deutschen Markt brachte, ließ man sicherheitshalber 500 Testpersonen probefuttern. Vier verschiedene Schärfegrade wurden durchprobiert – man entschied sich für gediegenes Mittelmaß. Jetzt schmeckt der „McMex“ wie der gute, alte „Big Mäc“ mit ein bißchen Pfeffer und Kümmel drauf.

So vollführt die Branche einen hinreißenden Spagat: Man verspricht den Kunden „original“ fernöstliche Genüsse, muß diese aber auf original deutsche Geschmacksnerven eindampfen. Und wie empfindlich die sind! Auf einer Schärfenskala zwischen 0 und 200 „kann man der deutschen Zunge höchstens bis 28 zumuten“ – Ergebnis einer Feldforschung, die das in Mexiko ansässige „Research and Development Center“ der „Nestlé“ anstellte.

All das muß berücksichtigt werden, wenn die deutschen Hersteller ihre „Ethnic Food“-Rezepturen entwickeln. So versucht „Ubena“ zwar, „möglichst nah am Originalgeschmack zu sein“, guckt den China-Restaurants in den Topf und läßt sich Kreuzkümmel aus Mexiko schicken – gleichzeitig aber muß es den deutschen Geschmack treffen. „Sensorisch geschultes Personal“ ist an der Geschmacksfindung ebenso beteiligt wie die Geschäftsführung: „Erst, wenn's dem Chef schmeckt, kommt es auf den Markt“, sagt Schemenau. „Bis zu zwei Jahren“ dauert es bei der „Nestlé“, bis ein neues Süppchen aus dem Frankfurter „Maggi-Kochstudio“ in die Regale der Republik entlassen wird. Entsprechend kompromißlerisch schmecken die meisten Produkte: ein bißchen süß-sauer, ein bißchen scharf, ein bißchen brav. Die Biederkeit des „Ethnic Food“ spiegelt sich in der Werbung wider: Da wird es höchstens mal „peppig-pikant“ oder „raffiniert fernöstlich“ – nur nicht allzu scharf. Allein das „etwas andere Restaurant“, McDonalds, würzt seine Kampagne für mexikanisierte Hamburger mit einer Prise Selbstironie: „Los Wochos“ lautet in schönstem verballhornten Spanisch der Slogan für die derzeitigen Aktionswochen.

Über freche Werbung machen sich allerdings die wenigsten Anbieter Gedanken. „Ethnic Food“ gilt als Selbstläufer. Auf der Fachmesse „Anuga“, dem Kölner „Weltmarkt für Ernährung“, kürte man die Tortilla – ganz im überschwenglichen Jargon der Branche – zum „wohl rasantesten Aufsteiger in der europäischen Genußskala“. Bereits 1993 ließen sich mit „Ethnic Food“ weltweit rund 4 Milliarden Mark umsetzen, und „Nestlé“ weissagt sprunghaften Zuwachs. So, wie sich die Fernreisen und der Tequila-Umsatz entwickeln, sollen auch die „Mexas“-Würztütchen Einzug in die deutschen Haushalte finden.

Nur nicht zu rasch! Denn sonst könnte es dem Tex-Mex-Einheitsbrei ergehen wie vormals dem Dosen-Ravioli. „Irgendwann wird sich auch das Chili hier einbürgern“, ahnt Ubenas Frau Fritz. Dann müssen neue Märkte her, neue Länder abgesteckt werden und neue ethnische Besonderheiten eingedeutscht werden.

Bei „Nestlé“ ist man schon wieder voll dabei. Die Firma, die 1958 als erste das Ravioli als Fertiggericht ins Sauerkrautland brachte, kam Anfang November erstmals mit karibischer Kulinarik auf den Markt. Für jene, die ihre Erinnerungen an den letzten Trip nach Trinidad noch nicht ganz verdaut haben, serviert Maggi u.a. „Putenfleisch Calypso“ in einer „cremigen Curry-Rahmsoße“. Alles natürlich in den handlichen „1-Portionen-Schalengerichten“. Thomas Wolff