■ Im Gespräch: Preis für Agnes Heller
Gestern abend bekam Agnes Heller, die ungarische und inzwischen ungarisch-amerikanische Politologin, den Bremer „Hannah-Ahrendt-Preis für politisches Denken“ verliehen. Zum Festakt im Rathaus waren Iring Fetscher und Joachim Gauck als Redner geladen.
taz: Frau Heller, was würden Sie heute abend sagen. wenn Sie erklären dürften, was Hannah Ahrendt uns in dieser Weltsituation zu sagen hat?
Agnes Heller: Ich habe voriges Jahr hier zwei Vorträge gehalten, jetzt soll ich nur fünf Minuten reden, bat man mich. Diese Frage werde ich in meinen 5 Minuten so beantworten: Hannah Ahrendt hat keine systematische politische Philosophie ausgearbeitet. Sie hat an die republikanische Freiheit geglaubt und an die Zivilcourage. Sie wollte kein System machen, sie hat nicht an -ismen geglaubt. Sie war davon überzeugt, daß politisches Denken selbst Denken ist. In einem wirklichen Gespräch muß man nicht zu einem Konsens kommen, sondern die Meinungen der anderen ernst nehmen. Das Gespräch erklärt.
Wo es heute um Politik geht, kommt das Gespräch schnell auf Jugoslawien. Gemessen an den Idealen von Ahrendt sieht es dort düster aus. Wieso mußten die Völker Jugoslawiens, von der russischen Herrnschaft befreit, jetzt ihre Probleme von der anderen Weltmacht gelöst bekommen?
Da ist kein Problem und es geht micht um Lösung von Problemen. Ich kann dieser Formulierung nicht zustimmen. Leben ist kein Problem, das kann man nicht lösen. Die ethnischen Konflikte sind keine Probleme, die man lösen kann. Es gibt typische Konflikte in der Moderne, mit denen wir zusammen leben lernen müssen. Ohne Krieg, im Zwiegespräch.
Obwohl den jugoslawischen Völker über Jahrzehnte das Gespräch aufgezwungen war, hat sich Krieg ergeben.
Es war kein Gespräch. Die Wunden waren tief, jede Familie hat ihre Toten, das Gefühl der Rache war immer da. Im Tito-Regime wurde das ins politische Unbewußte geschoben. Wir wissen, das führt zu Neurosen. Mit den Konflikten der Völker geht das genauso. Wenn der Zensor weggeht, kommt alles heraus. Und was herauskommt, ist neurotisch.
Jetzt kommen wieder neue Zensoren , die Amerikaner ...
Nein. Hier kommt Hannah Ahrendt ins Spiel. Dieser Frieden war von den Amerikaner gemacht, Schande für Europa. Daß darüber gesprochen wird, werden die Amerikaner nicht verbieten. Ich kenne Leute, die waren unter Tito im Knast, weil sie offen darüber gesprochen haben. Unterbunden wird jetzt nur, daß die Konflikte mit Waffen ausgetragen werden. Es wird die Frage sein, ob es zu einem Dialog kommt, in dem man sich gegenseitig zuhört, wenigstens. Das wäre optimal. Das Problem wird nicht gelöst, die Spannung wird bleiben. Mit der Spannung kann man leben, mit dem Krieg nicht.
Lech Walesa, der polnische Befreiungs-Held, ist abgewählt worden. Finden Sie persönlich das schade?
Nein. Ich finde es schade, daß mit ihm das Symbol der Solidarnosc abgelöst wurde. In dem empirischen Sinne finde ich es nicht. Lech Walesa hat sich wie ein Patriarch benommen, er war fundamentalistisch. Er war ein schlechter Präsident.
Fragen: K.W. / Foto: K. Joos t
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