Saxophon mit Elefantenton

■ „Na also, wird doch!“ – eine flotte und musikalisch souveräne Hauptstadt-Revue in der Neuköllner Oper

Die Gattin des Bonner Abgeordneten ist empört. Soll sie in eine Stadt ziehen, die nach fünfzig Jahren noch so aussieht, als sei sie erst letzte Nacht von den Alliierten bombardiert worden? Berlin, das sieht sie schnell, entspricht in allem ihren Vorurteilen – und deren hat sie viele. Kein Mensch findet sich zurecht. Die Kellnerin ist pampig, der Kaffee zu teuer, und auf den Baustellen spricht niemand deutsch. Als sie dann auch noch auf der Straße von einer kriminellen Randgruppe mit dem Messer bedroht wird, dreht sie den Spieß um.

„Na also, wird doch“ heißt die Hauptstadt-Revue aus dem Hause Peter Lund (Buch) und Winfried Radeke (Musik) in Neukölln, die wirklich alle aktuellen Berliner Themen zu einem flotten Durcheinander verquirlt. Der Abgeordnete Ludger Flott, irr und wirr in Hauptstadt-Euphorie, verfällt dem berechnenden Charme der Lina Dieberow, einer Frau, die Berlin in aufreizender Geste verkörpert. „In Berlin gehen täglich mehrere Menschen verloren“, sagt der Chauffeur des Abgeordneten. „Mein Mann nicht“, erwidert resolut Frau Flott. Doch sie irrt.

Nicht nur ihr Mann – die Handlung insgesamt – verliert sich in Turbulenzen. Ganz Berlin ist auf den Beinen und bevölkert die Bühne, die, wen wundert's, von einem großen Baugerüst geziert wird. Nacheinander, durcheinander, nebeneinander tauchen sie alle in höchsteigener Person auf: Ostberlin und Brandenburg, Speckgürtel und Quarktasche, Koofmich und der Alte Fritz.

Auch die Alliierten sitzen noch irgendwo rum, räsonnieren und predigen die Langsamkeit. Doch keiner hört auf sie. Mit atemberaubendem Tempo, mit manchmal geradezu dadaistischem Wortwitz überschlagen sich die Ereignisse. Die Musik, die von der bruitistischen Ouvertüre bis zum Wiener Walzer, vom Operetten-Ohrwurm bis zum lautmalerischen Mickey- Mousing geschickt sämtliche Register zieht, ist an dem Tumult nicht unbeteiligt. Das Orchester irrt durch den Raum.

„Haben Sie meinen Mann gesehen?“ fragt Frau Flott die Tuba, und das Saxophon verneint mit einem elefantösen Ton. Die vier von der Baustelle singen eine Bauarbeiter-Fuge. Bei dem Wort Metropole steigt einer aus dem Quartett aus: „Pole, Pole, Pole“, singt er verzückt allein weiter. Und der sonst so distinguierte Chauffeur verliert bei feuriger Musik alle Zurückhaltung und tanzt – zur Freude des gesamten Publikums – einen Step.

Musik und Text, Bühnengeschehen und musikalischer Witz verschmelzen so zu einem einzigen, wunderbar chaotischen Musiktheater, wo Musik, von ihrer illustrierenden Funktion befreit, aktiv in das Geschehen eingreift. Bei all dem Durcheinander macht es nichts, daß in der dramatischen Konzeption ein paar kleine Ungereimtheiten auftauchen.

Denn es ist sehr bald zu merken: Bonn, Brandenburg – ist doch alles Nebensache. Hier geht es um Berlin. Und während der Senat, die Behörden und so mancher Zeitgenosse durch den Kakao gezogen werden, hat die Berliner Schnauze ihre große Stunde. „Na also, wird doch“ ist eine einzige Liebeserklärung an Berlin und seine Originale, so frech und respektlos, wie es seit Tucholsky wohl selten zu hören war. Christine Hohmeyer

Bis 23.12., Do-So 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133