Ein Schlächter feiert Geburtstag

Chiles Ex-Diktator und oberster Heeres-Chef Augusto Pinochet wird 80. 30.000 Gäste huldigen dem „Vater des Wirtschaftswunders“ – ein paar gehen gegen den „Mörder“ auf die Straße  ■ Aus Santiago Thomas Nachtigall

Augusto Pinochet weiß, welche Rhetorik er Freund und Feind schuldig ist: Die siebenköpfige Hydra des Weltkommunismus sei zäh, verkündete er vor wenigen Tagen, und nationale wie internationale Kräfte versuchten derzeit mal wieder, die Institution der Streitkräfte und damit das Vaterland zu zerstören. Schon im Vorfeld seines heutigen 80. Geburtstages sorgte Chiles Heeres-Chef dafür, daß niemand das Datum einfach übersehen kann.

Das wäre ohnehin nicht zu erwarten gewesen, denn Menschenrechtsorganisationen haben für den „Tag der Trauer“ Mahnwachen vor seinem Amtssitz angekündigt. Sie wollen damit auch gegen das „Schlußpunktgesetz“ protestieren, „das die Regierung dem Mörder zum Geburtstag schenken will“, so Sola Sierra, Sprecherin der Angehörigen der Verschwundenen. Ein neuer Gesetzentwurf soll die Verfolgung von Verbrechen der Diktatur endgültig unmöglich machen.

Als Gegenleistung hofft die Regierung darauf, die Zustimmung zu mehr Demokratie zu bekommen und endlich die noch immer geltende Verfassung der Diktatur ändern zu können, die Pinochet und seinen Anhängern auf Dauer entscheidenden Einfluß sichert.

Heute wird der Ex-Diktator feiern. Am Festessen zu seinen Ehren in der Hauptstadt Santiago werden 2.000 Gäste teilnehmen, die sich den Eintritt jeweils 280 Mark haben kosten lassen. Und obwohl die Ansprache, die der 80jährige bei Tisch halten will, per Videokonferenz zu ebenfalls üppig ausgestatteten Abendessen in zwölf weitere Städte des Landes übertragen wird, dürften die zugeschalteten 30.000 Geburtstagsgäste kaum Neues von Pinochet erfahren.

Denn der General scheint – wie eine Krankenakte nahelegt, zunehmend Opfer eigener Wahnvorstellungen zu werden. Wie bei seiner letzten Rede vor großem Publikum, als der „Vater des lateinamerikanischen Wirtschaftswunders“ stolz des Militärputsches vom 11. September 1973 gedachte und verkündete: „Die auf Revanche drängenden Bolschewisten wissen schon, wohin sie sich die Menschenrechte stecken können.“

Trotz solcher Ausfälle warnt etwa die prominente Anwältin Fabiola Letelier davor, Pinochet als senilen Greis abzutun: „Er steht immer noch für einen mächtigen Block von Militaristen, die sich weiterhin als berufene Elite verstehen und Zivilisten schlicht verachten.“ Zweifellos stehen hinter ihm auch jene Teile der Wirtschaftsoligarchie, die privatisierte Banken, Elektrizitätswerke, Minen und Forstrechte zu Spottpreisen übernehmen konnten. Sie widmen dem General heute eine Augusto-Pinochet-Stiftung, die „das Werk“ der Militärregierung bekanntmachen soll.

Anderen Vertretern des Neoliberalismus ist das Gehabe des Caudillo mittlerweile peinlich und der von ihm gesteckte Rahmen eng geworden. Den modernen Kapitalisten etwa befremdet es durchaus, daß Chiles Marine und Luftwaffe nicht nur auf ihr Hoheitsrecht, sondern auch auf Gebühren für jegliche Nutzung von Himmel und Wasser bestehen. Aber auch diese Unternehmer müssen dankbar anerkennen, daß der Schatten des Ex-Diktators schützt – wenn schon nicht vor Revolutionen, die derzeit in Chile eh niemand vorhat, so aber doch vor einer baldigen Reform des halbfeudalen Arbeitsrechtes und ähnlichen Unannehmlichkeiten.