Ein Marshallplan für Bosnien

Bosnische Wirtschaftsfachleute hoffen auf Startkapital aus dem Ausland für den Wiederaufbau des zerstörten Landes  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Kaum ist mit dem Vertrag von Dayton der Frieden in greifbare Nähe gerückt, wird der Wiederaufbau Bosniens angepackt. In den Wirtschaftsinstituten, in den Führungsetagen der ehemaligen sozialistischen Konzerne, in den Administrationen der UNO und der EU in Mostar und Sarajevo brüten die Fachleute, Manager und Wissenschaftler über Konzepte zur wirtschaftlichen Entwicklung des zerstörten Landes.

Schon macht das Wort von einem Marshallplan die Runde. Die internationale Gemeinschaft will beim Wiederaufbau helfen. „Wir können aus der Erfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg lernen“, erklärt dazu Enver Basković, Vizechef der bosnischen Zentralbank. In dem noch in der Habsburgerzeit vor dem Ersten Weltkrieg errichteten Zentralbankgebäude in Sarajevo, das den Krieg fast unbeschadet überstanden hat, herrscht seit einigen Wochen wieder hektische Aktivität.

„Als die USA 1947 auf der Pariser Konferenz den Plan zur Wiedergenesung der Wirtschaft Europas vorlegten, hatte fast niemand erwartet, welch ungeheuren Erfolg das Programm haben würde. Genau so einen Impuls brauchen wir jetzt auch in Bosnien-Herzegowina.“ Der erste Schritt ist die Bestandsaufnahme des Schadens. „Wir können davon ausgehen“, erklärt Mehmed Drino, Mitglied des Direktorats zum Wiederaufbau Sarajevos, „daß fünfzig Prozent des Wohnraums im gesamten Staatsgebiet Bosnien-Herzegowinas zerstört sind.“ Die Infrastruktur sei schwer beschädigt worden, Straßen, Eisenbahnverbindungen, Telefonsysteme, Gas- und Wasserleitungen müßten wieder in einen funktionsfähigen Zustand versetzt werden.

Was zunächst gebraucht werde, sei schlicht und einfach das Startkapital. Es gebe genügend technisches Know-how und auch die Arbeitskräfte, um die Infrastruktur wiederherzurichten. Die Hilfe des Auslandes komme dabei natürlich gelegen, sagt Mehmed Drino. Und er verweist auf bereits bestehende Projekte britischer und deutscher Entwicklungszusammenarbeit, etwa im Bergbau und bei der Instandsetzung der Eisenbahnverbindungen.

Zu schnelle und unüberlegte Schritte lehnt der Wirtschaftswissenschaftler Boris Tihi ab. „Einerseits brauchen wir die Intervention des Staates und der internationalen Hilfsorganisationen, andererseits müssen wir beim Wiederaufbau darauf achten, daß vor allem der private Sektor entwickelt wird.“ Die bosnische Ökonomie, die sich im wesentlichen auf einige große Kombinate wie das Stahlkombinat in Zenica oder das Chemiekombinat in Tuzla stützt, wäre auch ohne den Krieg in die Krise geraten, erklärt der Professor an der Universität Sarajevo. Diese Industriekomplexe, die vor dem Krieg 30.000 bis 60.000 Beschäftigte hatten, müßten entflochten werden. „Wir brauchen auch die mittelständische Komponente“, sagt Tihi.

Auch in der Zentralbank wird in ähnlicher Richtung gedacht. „Wir müssen eine Kreditpolitik entwickeln, die den mittelständischen Unternehmen große Chancen einräumt.“ Für Enver Basković muß die bosnische Ökonomie jedoch weiterhin auch die Interessen der großen Kombinate berücksichtigen. „Um ein Programm zum Wiederaufbau in Gang zu setzen, müssen wir vor allem aus den deutschen Erfahrungen lernen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau könnte als Modell dienen.“ Die Marshallplan-Gelder seien dort höchst sinnvoll angelegt worden. Er selbst beziffert den Finanzbedarf auf 10 bis 12 Milliarden Dollar, die teilweise über Anleihen wie auch Schenkungen der befreundeten Staaten aufgebracht werden könnten. „Wir wünschen uns, daß die Weltbank hier mit ihren Experten und ihrem Kapital die Führung in Zusammenarbeit mit Experten der Europäischen Union, der UNO und der Zentralbank übernimmt.“

Auf die Gründung einer derartigen Kommission legen die meisten Experten in Bosnien großen Wert. „Wir waren schon vor dem Krieg auf dem Weg in Richtung Marktwirtschaft“, sagt Professor Tihi. „Aber die Psychologie unserer Manager ist doch noch geprägt vom Sozialismus, das heißt von einer Mentalität, die in der Erwirtschaftung von Profit nicht ihr erstes Ziel hat.“

Mit dem Wiederaufbauprogramm müßte das Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu definiert werden. Auch bei der Rekonstruktion der Infrastruktur dürfe der Staat nicht zuviel an Einfluß erhalten. Nur wenn es gelinge, von vornherein eine Marktwirtschaft zu etablieren, könne die politische Integration der serbischen Gebiete erreicht werden. „Serbische Geschäftsleute haben dann die gleichen Interessen wie die auf unserer Seite, eben das Interesse, daß der Markt funktioniert. Staatliche Institutionen hingegen hängen weiterhin von den Politikern und damit Ideologien ab.“ Dieser Ansicht stimmt auch der Banker Enver Basković rückhaltlos zu. „Wir werden eine einheitliche Währung bekommen. Wir betrachten Bosnien- Herzegowina als gemeinsamen Wirtschaftsraum. Und das ist eine große Chance für den Frieden.“