Unterstützung für Kommissar Zufall

Das Symposium „Sexueller Mißbrauch an ausländischen Kindern durch Deutsche im Ausland“ fordert bilaterale Übereinkünfte der Bundesregierung mit den bevorzugten Reiseländern von Sextouristen  ■ Aus Bonn Karin Nink

Daß die Polizei bei seiner Ankunft am Frankfurter Flughafen schon bereit stand, damit hatte der Urlaubsrückkehrer aus Bangkok nicht gerechnet. Zielstrebig durchsuchten die Beamten das Gepäck des Mannes und fanden eine Reihe von Pornovideos mit einem jungen, nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft minderjährigen thailändischen Mädchen. Am Montag muß sich der Mann, der wegen Kinderpornographie in den 80er Jahren schon einmal verhaftet worden war, in Frankfurt vor Gericht wegen sexuellen Mißbrauchs von Minderjährigen verantworten. Aufgefallen war er, weil ein Frankfurter Kripobeamter ihn während seines Urlaubs in Thailand erkannt und den Kollegen in Deutschland einen Tip gegeben hatte.

Daß es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommen kann, geht auf eine Gesetzesänderung von September 1993 zurück. Danach können Deutsche, die im Ausland Kinder sexuell mißbraucht haben, mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden – selbst wenn der Mißbrauch in dem Land, in dem die Tat stattgefunden hat, kein Verbrechen ist.

Der Frankfurter Fall des Thailand-Urlaubers ist allerdings nur einer von 15, die den deutschen Staatsanwaltschaften bisher bekanntgeworden sind: In Frankfurt wurden dank einer Routinekontrolle des Zolls vor kurzem zwei Berliner festgenommen, denen sexueller Mißbrauch von Kindern und, zusammen mit thailändischen Mittelsmännern, der Vertrieb von Kinderpornographie vorgeworfen wird. Mehr als 2.000 Videokassetten wurden bei ihnen sichergestellt. In diesem Fall hat das Bundeskriminalamt die Ermittlungen übernommen. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen in Sri Lanka lebenden Deutschen, der sich regelmäßig an minderjährigen Jungen vergangen haben soll. Die Jungen leben in einem von ihm betreuten Kinderheim. Touristen hatten deutsche Behörden über diesen Fall informiert.

Bislang konnte nur ein Verfahren in Bayern abgeschlossen werden: Im Oberlandesgerichtsbezirk München wurde im Frühjahr ein homosexueller Mann zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er in Thailand Sex mit einem 12jährigen Jungen hatte. Der Angestellte war, nachdem er von einem Bekannten angezeigt worden war, geständig – was die Arbeit der Justiz deutlich erleichterte. Denn meistens ist die Beweisführung enorm schwierig. Der Münchner Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralstelle Bayern für Jugendmedienschutz, Arno Greetfeld, weiß: „Die tatkräftige Mithilfe der Behörden vor Ort ist erforderlich, um dem Mißbrauch ein Ende zu setzen.“

Weil häufig die Beweise fehlen und viele Sextouristen erst gar nicht auffallen, kommen die meisten von ihnen, die sich zum Beispiel in Thailand, Sri Lanka, Brasilien oder auf den Philippinen gegen Geld oder Geschenke der Kinder bedienen, ungestraft davon. Der geringen Zahl an Fällen, in denen die Staatsanwaltschaften ermitteln, stehen allein in Thailand jährlich rund 40.000 bis 60.000 Sextouristen gegenüber, von denen sich nach einer Befragung des Berliner Sozialwissenschaftlers Dieter Kleiber rund 1,2 Prozent an Kindern vergreifen. Nach Einschätzung der Kinderhilfsorganisation „Terre des hommes“ liegt die Dunkelziffer aber deutlich höher.

Nach Meinung vieler Fachleute darf die Überführung der Täter nicht wie bisher vor allem „Kommissar Zufall“ überlassen bleiben. Deswegen setzten sich in- und ausländische Experten sowohl von den Strafverfolgungsbehörden als auch von Hilfsorganisationen in einem in dieser Woche vom Bundesjustizministerium veranstalteten Symposium „Sexueller Mißbrauch ausländischer Kinder durch Deutsche im Ausland“ dafür ein, mit den bevorzugten Zielländern des Sextourismus bilaterale Übereinkommen abzuschließen. Die Strafverfolgung in Deutschland werde zusätzlich dadurch erschwert, daß die ohnehin schwierige Aufklärung eines Falles nur auf dem Weg internationaler Rechtshilfe möglich sei, betonte zum Beispiel der Duisburger Oberstaatsanwalt Dietrich Büttner. Er hofft, daß das Symposium nicht nur mittels gegenseitiger Informationen und Absprachen, sondern auch durch das Bemühen um den Abschluß von Rechtshilfeverträgen dazu beitrage, Kinderprostitution besser bekämpfen zu können. Auch Christa Dammermann von „Terre des hommes“ weist auf den beschwerlichen Weg der Ermittler hin. Bis zu 18 verschiedene Instanzen sind beteiligt, berichteten deutsche Ermittler, bevor ein Staatsanwalt mit einem anderen Staatsanwalt sprechen kann.

Die Bundesregierung hält solche bilateralen Verträge bisher nicht für nötig, weil sie – so in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD – der Auffassung ist, „daß durch den Abschluß von Rechtshilfeverträgen mit den betroffenen Staaten die Verfolgung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern im Ausland nicht effektiver gestaltet werden könnte“. Auch während des Symposiums betonte das Bundesjustizministerium, der Abschluß bilateraler Verträge führe nicht zu einer „quantitativen oder qualitativen Verbesserung der Rechtshilfebeziehung“. Es sei kein Fall bekannt, in dem ein bilateraler Vertrag die Zusammenarbeit verbessert hätte. Unabhängig hiervon haben die ausländischen Experten ihre Bereitschaft zu einer engen und unbürokratischen Kooperation betont. Christa Dammermann hofft nun, daß Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium „mit gleicher Intensität“ auf dieses Angebot eingehen.

Denn eine enge Zusammenarbeit ist dringend erforderlich. Auf die Einsicht der Täter braucht man nicht zu hoffen. Sie betrachten die Kinder nach einhelliger Meinung vieler Fachleute als „Ware“, für die sie bezahlt haben. Diese „Ware“ sind nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen in Thailand rund 100.000 Kinder, auf den Philippinen 30.000 bis 60.000 und 30.000 in Sri Lanka.